SCHATTEN
ÜBER SCHWANEWALDE |
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oder LIEBE IST KEIN GESCHENK
oder SOWAS |
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Werner Grüß |
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0. |
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Von einer Sekunde zur nächsten
brach das Unwettter los. Den ganzen |
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späten Nachmittag schon hatte
eine drückende, feuchte Schwüle über |
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dem Tal gelastet, jetzt rissen
die schweren schwarzen Wolken auf, und |
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ihr Wasser ergoß sich wie ein
Sturzbach über die Wälder und Wiesen. |
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Feurige Blitze zuckten
gleißend und tauchten den tobenden Abendhimmel |
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in grelles Licht und zusammen
mit dem rollenden Donner schienen sie |
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das Ende aller Zeiten mit dem
folgenden Jüngsten Gericht anzukündigen. |
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Wenn man an sowas glaubte
jedenfalls. Die Wettervorhersage hatte allerdings |
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schon sowas gemunkelt,
präziser jedoch kann sie ja leider immer nocht nicht |
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sein. |
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Der einsame graue
regengepeitschte Wagen fand nur mühsam seinen |
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Weg durch die verschlammten
Straßen, die zum Anwesen der gräflichen |
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Famile Harro von Schwanewalde
führten. |
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Sein Fahrer stöhnte in
unregelmäßigen Abständen gequält auf. |
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Er sah mit Bangen die
Möglichkeit, im aufgeweichten, tiefen Boden |
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steckenzubleiben und fürchtete
sie insgeheim. Deshalb fuhr er schneller, |
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als bei den widrigen
Witterungsverhältnissen ratsam gewesen wäre. |
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Hinter einer Gabelung
der ungepflasterten Straße mußte er scharf bremsen. |
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Eine Kiefer - wohl vom
Blitzschlag gefällt - lag quer über den schmalen Weg |
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und verhinderte ein
Weiterkommen. Kurz vor dem Baumstamm brachte er den |
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schweren Wagen zum Stehen und
vermied damit größeren Schaden. |
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Mit einigen spontanen und
ungehörigen Worten kommentierte der Fahrer |
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diese für ihn so unerfreuliche
neue Situation. Es goß wie aus Eimern, Kübeln, |
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Badewannen. |
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Was nun? Der Fahrer
mußte nachdenken. Sollte er hinaus, versuchen den Baum |
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beiseite zu ziehen, was
zweifellos höchst unangenehm und beschwerlich sein |
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würde bei diesem Wetter? Oder
wäre er besser beraten, den Wagen irgendwo |
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in den Büschen zu verstecken
und die restliche Wegstrecke, durchaus einige |
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hundert Meter, zu Fuß zu
bewältigen? |
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Weder die eine noch die
andere Möglichkeit behagte dem Fahrer sonderlich. |
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Er fischte aus seiner
Jackentasche sein Zigarettenetui und zündete sich eine Lord |
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Extra an in der Hoffnung
Nikotin könnte ein guter Katalysator des Entschei- |
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dungsprozesses sein, zumal ein
derart edler Tropfen. |
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Unentschlossen, aber
auch verdrossen über die ganze Entwicklung der letzten |
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Stunden inhalierte er tiefe
Züge, ekelte sich wie immer über den Geschmack |
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des Krautes und schaltete in
Gedanken den Cassettenrecorder aus, der gerade |
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eine Sinfonie von Mozart
spielte. |
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Mozart, dachte er dabei
seltsam angewidert, ja aggressiv, na, der alte Sack hat |
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ja wohl seine beste Zeit auch
schon lange hinter sich! Hungerleider, drecketer! |
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Er schaltete das Autoradio an.
Es kamen gerade Kurznachrichten mit Stau-Schau, |
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als Infotainment pur. Eine
strohblonde Sprecherin lispelte das Neuste vom Tage |
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vom Blatt und aß dabei eine
Frikadelle. |
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Jedenfalls hörte sich das so
an, |
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"...trafen sich die
Außenminister der Europäischen Union. Ziel der Konferenz |
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sei sich auf einen
einheitlichen europaweiten Standard von Einmachgläsern |
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zu einigen, so ließ das
deutsche Außenministerium verlauten. Dazu Minister |
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Steinmann: Das leidige Thema
vergiftet schon seit langem die supranationalen |
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Beziehungen und muss endlich
vom Tisch, verdammt noch eins! KOBLENZ: |
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Aus einer psychiatrischen
Klinik in der Nähe von Koblenz ist in den Mittags- |
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stunden ein Patient entwichen.
Es handelt sich dabei um den sechsundzwanzig- |
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jährigen Baron Achim von
Plötz. Der entflohene Irre ist noch neuesten Schät- |
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zungen etwa 1 Meter 73 bis 86
groß, hat blondes, fast kahlrasiertes Haar bis |
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zum Hemdkragen und trägt chice
Anstaltskleidung, passende braune Schuhe |
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dazu. Vorsicht ist das Gebot
der Stunde, denn man weiß nicht, was der Wahn- |
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sinnige plant. Wer den
Entflohenen gesehen hat oder andere sachdienliche! |
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-was ich leider wieder
einmal betonen muß !! - Hinweise geben kann, |
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der zögere nun nicht länger,
sondern rufe unsere Nummer 333 333 333..." |
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Sichtlich gereizt
schaltete der Fahrer des grauen Mercedes das Radio wieder aus. |
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Hastig zog er an seiner
widerlichen Zigarette und schaute nervös auf seine |
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Armbanduhr. Es war 20.05 Uhr. |
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Seit über sechs Stunden
suchte man also schon den armen Irren und hatte ihn |
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immer noch nicht
gefasst. Die Pfeifen! Mein Gott, das konnte doch nicht so |
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schwer sein! Vielleicht war
auch schon alles zu spät, vielleicht hatte das Unglück |
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nicht nur lämgst seinen Lauf
genommen, sondern ihn schon beendet. Hätte er |
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doch nur schon eher von der
Flucht erfahren! Jetzt wurde die Zeit knapp. |
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So oder so, er mußte
schnellstens zum Haus der Schwanewaldes, es war sicher |
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die letzte Chance noch etwas
zu retten. |
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Obwohl der Sturzregen
keineswegs nachgelassen hatte, stieg er kurzentschlossen |
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aus seinen Wagen, eilte zum
Hindernis, das sein Fortkommen vereiteln wollte, |
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und mühte sich die schwere
Kiefer beiseite zu ziehen.. Schon nach Sekunden |
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war er völlig durchnässt.
Dennoch brach ihm Schweiß aus, der nicht allein |
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von der Anstrengung herrührte.
Gott im Himmel, betete er im stillen, hoffent- |
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lich ist noch nicht alles
verloren. Lieber Gott im Himmel, hilf mir. |
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1. |
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Die junge Sophie von
Schwanewalde, süße neunzehn Jahre jung, saß vor ihrem |
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Rasierspiegel und striegelte
hingebungsvoll ihr gelegentlich so widerspenstiges |
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Haar. Goldschimmernde, lange,
fettige Strähnen fielen auf ihre bezaubernden |
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alabasterfarbenen Schultern
herab und behielten dort ohne zu klagen die ihnen |
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zugedachte Position. Nur die
eine Strähne, die stets ins Gesicht ihr fiel, sträubte |
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sich wie so oft gegen die
Behandlung von so zarter Hand und wollte sich nicht |
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fügen. Obwohl gerade dies
Haarbüschel ihren Vater oftmals entzückte, unter- |
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schrich die freche Tolle doch,
wie er fälschlich glaubte, das liebenswerte kecke |
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Etwas, das er an seiner
Tochter so hinreißend fand, war es für Sophie hingegen |
|
ein beständiges Ärgernis, das
schon seit Jungmädchentagen ihre Existenz ver- |
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düsterte und dem sie am
liebsten mit scharfer Schere den Garaus gemacht hätte. |
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Doch so sehr sich die
junge Adelige auch mühte, einmal mehr war der Strähne |
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mit den Mitteln der irdischen
Frisierkunst nicht beizukommen. |
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"Oh
verwünscht!", entfuhr es der blutjunden Edelfrau, als sie sich endlich
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geschlagen geben und sich
eingestehen mußte, daß die Strähne in ihrer Eigen-
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willigkeit obsiegt hatte.
Erbost schleuderte sie mit dem ihr eigenen unbändigen
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Temperament ihr
untaugliches Instrument, die kostbare Wildschweinborsten-
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bürste, zu Boden und kippte
den randvollen Aschenbecher darüber aus. Die
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Konturen der Kippen und Asche
auf er Auslegware gemahnten sie an die süd-
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lichen Provinzen von
Guatemala. |
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Einen
Moment später hatte sie sich schon wieder im Griff, aber nun stieg
wie 11.03.2008 |
aus dem Nichts diese
unverhoffte namenlose Melancholie in ihr auf, die seit
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Wochen in unregelmäßigen
Abstanden auf sie einwaberte. Tief in den Ritzen
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ihrer schwabbeligenSeele
schwammen Tränen, sie drängten und schoben und
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wollten aufsteigen ans Licht
zur Sonne, allein die junge Frau konnte sie tapfer,
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wenn auch mühsam,
zurückhalten. |
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Was ist es nur,
fragte sie sich einmal mehr verwundert, was in mir in letzter
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Zeit diese Traurigkeit
hervorlockt? Nichtigste Anlässe genügten schon um das
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Bedürfnis zu weinen zu wecken.
Höchst merkwürdig, kannte sie ansonsten
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vergleichbare Regungen nur,
wenn sie sich im Farbfernsehen eine der populären |
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Unterhaltungssendungen
anschaute. "Wetten dass.." zum Beispiel oder früher |
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"Die 100 peinlichsten
Fernsehheinis". Es halfen keine Ausreden länger. Irgend- |
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etwas lag mit ihrer Seele im
argen. Nur was? Nur watt? |
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Allen Grund hatte sie
doch heiter, ja fröhlich gar zu sein. Schon morgen |
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würde sie den wahrlich
schönsten Moment ihres jungen Lebens genießen dürfen, |
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morgen würde sie
jauchzen und jubilieren und sich selbst auf die Schultern |
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klopfen dürfen, denn morgen
war es soweit: Um Punkt 15 Uhr würde sie mit |
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ihrem Manfred, den von aller
Welt gefeierten, nicht untalentierten Hirnchirurgen |
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Dr. Lohner, vor den Traualtar
tretenund nicht einmal eine halbe Stunde später |
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ihr Jawort zu einer
dauerhaften Verbindung mit dem angesehenen und äußerst |
|
wohlhabenden Kerl sprechen.
Wie sehr hatten doch ihre alten guten Eltern sie |
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zu dieser Ehe gedrängt, aber
wie sehr hatte sie dann auch Manfred lieben gelernt, |
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als er sich in dendunklen
Tagen, an denen sich die Geschehnisse um Achim |
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von Plötz, ihrem
damaligen Schwarm, überschlugen, um ihr Wohlergehen |
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gesorgt und damit neben
diversen Geschenken ihr Herz gewonnen hatte. |
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"Ach
Achimili!" seufzte Sophie, denn so koste sie nach Jungmädchenart den |
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Namen des jungen Barons und
ließ traurig den fettigen Schädel auf die stinkende |
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Kommode sinken. War es
vielleicht doch Achim, der arme Irre, der ihr Herz |
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im Griff hatte und mit
Traurigkeit füllte? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht!! |
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Schließlich ist er ja heillos
bekloppt! Ohne lange anzuklopfen meldete sich so |
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immer ihre Stimme der
Vernunft. Die gute. |
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"Liebste
Tochter, wie?" Die dröhnende Stimme des Vaters schreckte Sophie |
|
aus ihren Gedanken. "Wie?
Fühlst du dich? Heute? Was? Am Vorabend? Wie? |
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Deines großen Tages?" |
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Der Graf war ein Herr
von 60 Jahren mit grauem Haar, das sicherlich würde- |
|
voller und
ehrfurchtsheischender wirken würde, wenn es einmal ordentlich |
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gekämmt werden würde. Auf der
Nase trug er eine unmoderne Kassenbrille, |
|
die auch auf seinen großen
Ohren halt fand, und am Kinn das dünne, spitze |
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Bärtchen, das schon seit
Jahrhunderten die Erstgeborenen des alten Geschlechtes |
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schmückte. Es wurde gemäß
langer Tradition stets vom Vater auf den ältesten |
|
Sohn vererbt und klebte
dementsprechend schlecht. |
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"Greulich Vater,
Du" mußte Sophie ihn wieder einmal halb in Spaß tadeln, |
|
"so kloppe doch bitte
kurz an die Türe, so du mich hier oben besuchst! Wie |
|
leicht könntest Du mich sonst
blank und bloß ertappen!" |
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Der alte Graf knarzte
nachsichtig, ignorierte die kühne Zurechtweisung und |
|
entgegnete munter die Zähne
fletschend "Aber, mein Kind, wie? Ich sah dich |
|
vor - was? - neunzehn Jahren
schon blank und bloß - wie? - allweil dich |
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damals deine Mutter mir
entgegenhielt. Du erinnerst dich? Dunnemals?" |
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Sophie hob neckisch den
Zeigefinger und fuchtelte in der Luft herum. "Doch |
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damals war ich nur ein nackter
Wurm, inzwischen bin ich als herrlicher |
|
Schmetterling erblüht!"
"Du warst mein süßer kleiner Fratz, Sophie, was?", |
|
beteuerte der Graf, "und
bu bist mein kleiner Fratz und wirst immer der Fratz |
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Sophie schmunzelte
verheerend, denn jede weitere Gegenrede würde |
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doch vergeblich sein. Vater,
der gute alte Zausel, würde auch in Zukunft nicht |
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von seiner Abart lassen
können. Er würde immer wieder in ihr Zimmer platzen |
|
ohne anzuklopfen. Naja, so war
er nun mal. Was willste machen. |
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Doch nein! Plötzlich
ward es ihr schmerzlich bewußt, gerade das würde er ja |
|
schon bald nicht können,
selbst wenn er's mit aller Macht anstrebte. Denn nur |
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heute noch war sie die
natürliche, selbstverständliche Bewohnerin diese pracht- |
|
vollen Hauses. Morgen dann
hieß es Abschied nehmen und die folgende Nacht |
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schon würde sie in Manfreds
luxuriöser Villa verbringen, hinter Thermopen- |
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scheiben von der Außenwelt
geschieden die feingliederigen Füße von lauschiger |
|
Wärme erzeugt durch
Fußbodenheizung umschmeichelt. Ein ganz neues Leben |
|
im gänzlich fremden Ambiente
lauerte dort auf sie. |
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Wahrscheinlich war
heute sogar das unwiederbringlich letzte Mal, daß ihr |
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Vater so ungestüm in ihr
Schlafzimmer eindrang. Künftig würde sie nur noch |
|
Gast im eigenen Elternhaus
sein, wohlgelitten gewiß, dennoch eine halbwegs |
|
Fremde der gegenüber der Vater
sich jede Vertraulichkeit so intimer Art |
|
verknusen müßte. |
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"Ach, Vater",
schluchzte Sophie und von Wehmut geschüttelt konnte sie die |
|
Tränen nun nicht länger
zurückhalten. |
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"Ja, was? Ist
denn? Mein Kind, wie?". Der Graf war vom spontanen Gefühls- |
|
ausbruch seiner Tochter
überrascht und rang hilflos nach Worten. "Du bist |
|
doch nicht? Wie? Unglücklich,
was? Am Tage, was? Vor deiner Vermählung?" |
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Sophie mühte sich,
konnte aber kein Wort über die Lippen bringen. Sie |
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sprang auf und umhalste den
alten Grafen. Dicke Tränen rannen ihre Backen |
|
hinab und tropften vom Kinn zu
Boden, direkt ins südliche Guatemala. |
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Verwirrt und auch ein wenig
besorgt erkundigte sich der treue Vater: "Sophie, |
|
sprich, was? ist denn schon
wie?der mit dir, was? Soll ich den Onkel Doktor |
|
bestellen, damit er dir mal -
was? - gehörig den.." "Oh, nein, so lass er nur", |
|
unterbrach ihn's Töchterlein
mit tränenerstickter Stimme, "es ist bloß...Morgen |
|
schon werde ich nicht mehr bei
dir und Mutter sein. Das zerrt natürlich!" |
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Der Graf, nun ganz
freundlicher Vater, ja väterlicher Freund, drückte sie |
|
daraufhin so fest an sein
Herz, wie er's nie zuvor getan. Vater und Tochter |
|
spürten in diesem Moment,
wie's gemeinsame Blut in den Adern kochte und |
|
schnauften vor Anstrengung. |
|
Endlich gab der Graf seine
Tochter wieder frei. |
|
"Entschuldige
bitte". Sophie rang nach Atem und schnappte nach Luft und |
|
inhalierte den Odem mit Macht.
"Sicherlich hälst du mich nun für einen senti- |
|
mentalen Bratfisch, Vater,
aber ich kann..." |
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"Backfisch, Sophie,
wie?": |
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"Aber gerade der
bin ich nicht länger! Ich bin jetzt eine junge Dame und habe |
|
die Gefühle einer jungen Dame
und will mich nicht länger knechten lassen |
|
von den Launen eines..." |
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"So ist das, was?
Mein Kind! Deiner Tränen mußt du dich nicht - was? - |
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schämen. Wie? Als ich
seinerzeit deine Mutter auf Schloß Schwanewalde heim- |
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führte - was - empfand sie
ähnliches, wiewohl ich sagen kann, dass sie mir |
|
diese Eröffnung erst viele
Jahre später zu tun getan tat und schon oft bitter |
|
bereute - was? -
hernach." |
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"Treuer Vater, du!
Es ist doch bloß, weil ich euch so liebe." Sophie trocknete |
|
ihre Tränen mit dem feinen
mottenzerfressenen Linnentaschentuch, das sie |
|
von der inzwischen
verblichenen Großmutter zum Bestehen der letztjährigen |
|
Fahrradprüfung quasi als
Anerkennung überreicht bekommen hatte. |
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"Wir lieben dich -
was? - auch, Sophie", sagte der Graf nun ernst. "Aber |
|
den nächsten Schritt ins Leben
musst du alleine tun. Wie? Mutter und ich |
|
können dir nur beistehen und
versuchen - was? - dir dabei zu helfen. |
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Natürlich nur ideell,
keinesfalls materiell! Keine Mark! Und keinen Taler!!" |
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Das weißt du ja wohl - was? -
wohl!" |
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"Ja, ich weiß-ich
weiß", entgegnete Sophie und lachte schrill. "Doch laß uns |
|
jetzt ins Speisezimmer gehen
und ein wenig zu Abend essen." |
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Ja! Was? Ein wenig,
wie?" sagte der alte Graf vergnügt und wetzte die |
|
Zähne. |
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Im Speisezimmer saßen Sophies
Brüder Max und Gundolf am schweren |
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bereits gedeckten Eichentisch
hungrig wie stets und fest entschlossen |
|
maßlos Nahrung aufzunehmen.
Max war zwölf Jahre alt und hatte zahllose |
|
dunkelbraune Borsten auf dem
Kopf. Sein nur drei Tage jüngerer Bruder |
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Gundolf war schwarzhaarig,
glich aber ansonsten Max wie ein Junge dem |
|
anderen. Sie alberten fies
aneinander rum, hielten aber sofort inne, als sie |
|
Vater und Schwester gewahr
wurden. |
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"Ihr Schlingel,
was?" brüllte der Graf aufs heiterste gestimmt, "habt schon |
|
von der Vorspeise genascht,
wie?" |
|
"So'n
Quatsch" log Max völlig hemmungslos, obwohl noch ein Rest grüner |
|
Wackelpudding an seinem Kinn
klebte. |
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"Beim
Jupiter!" schimpfte sogleich der Vater, "mußt du denn immerzu lügen |
|
was? Dein Kinn straft doch
deine Rede lügen! Ab ins Bad und wasch dich, |
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Tunichtgut hundsföttischer,
wie?" Murrend erhob sich der Junge und verließ |
|
den Raum. "Und murre nur
nicht, wie?" zürnte der Vater hinter ihm her. |
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Bruder Gundolf lachte
hämisch und hielt sich blöde den Mund. Das erregte |
|
ebenfalls den Unmut des
gestrengen Vaters. "Schadenfreude - wie? - zeugt |
|
von einem verdorbenen, ja
vergammelten Charakter! Dem sei ein Riegel vor, |
|
was? Ein Riegel! Gundolf, geh,
folge deinem Bruder unverzüglich und ent- |
|
schuldige dich für - was? -
deine ganz Mieshaftigkeit!" Um jeden denkbaren |
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Widerstand im Keim zu
ersticken, fügte der Graf energisch hinzu: "Und unter- |
|
lass nur - was? - jedes
renitente Widerwort. Sei nicht obstinat - wie? - und |
|
hinfort nun." |
|
Sophie erkannte die
unerbittliche Erziehung des Vaters wieder, die auch sie |
|
genossen hatte. Hart, aber
gerecht! So lautete sein ehernes Erziehungsideal, mit |
|
jeder denkbaren Herzenswärme,
doch keinen Widerstand duldend, so es sich |
|
um Charakterbildung und
Wesensschliff handelte. Ohne ein aufsässiges Wort |
|
stand Gundolf auf und folgte
dem Bruder, um ith sein Bedauern über die eigene |
|
Niedertracht zu bekunden. |
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Sophie lächelte
verhalten. Ja, so ward auch sie erzogen, und selbst wenn sie |
|
früher manches Mal so eine
Behandlung durch den treuen Vater als kränkend |
|
und demütigend,
menschenunwürdig grausam gar, oder sadistisch und pervers |
|
empfunden hatte, nun, in
dieser Sekunde, begriff sie, daß sie ohne diese herbe |
|
Pädagogik schwerlich die
geworden wäre, die sie heute ohne Zweifel hier |
|
am Frühstückstische harrend
war. |
|
"Und nun - wie? -
frisch zu Tisch." Der Graf klatschte einmal in die Hände, |
|
sogleich kam der Hausdiener
Albrecht mit einem Tablett auf dem Arm herbei-
|
|
geeilt, auf dem ein Schälchen
voll Vanillesosse stand, ohne die der süßen
|
|
Speise der rechte Pfiff fehlen
würde, wie jeder weiß. Hinter ihm schlurfte mit
12.3. |
|
stumpfen Blick und hängenden
vier Backen das Hausfaktotum Ludger, kurz
|
|
Lui gerufen, das einen Krug
mit Mineralwasser in der Hand hatte. Lui hatte
|
|
man mal vor Jahren auf der
Türschwelle gefunden und dann an Dieners statt
|
|
aufgezogen. Albrecht erhielt
sogar Geld für seine Tätigkeit, wußte aber nicht,
|
|
daß der gute alte Taler kaum
noch im modernen Wirtschaftsleben angenommen
|
|
wurde.
|
|
"Ist Mutter noch
nicht zurück?", fragte Sophie. "Wollen wir nicht noch
warten |
|
bis sie zum Essen zu uns
stößt?" |
|
"Ach was!" Der
Graf wischte mit einer unwirschen Handbewegung diesen
|
|
Vorschlag vom Tisch. "Sie
hat noch in der Stadt - was? Ja, was nur? - zu
|
|
besorgen. Sicher für deine
Hochzeit - was? - als ob wir nicht schon alles
|
|
hätten. Sicher wird sie dort
was essen, Albrecht hat ihr ja eine Butterbrotdose
|
|
mitgegeben!"
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|
"Die Arme!"
Sophie rang mitfühlend die Hände. "Was macht sich die gute |
|
Frau doch nur für Mühe wegen
meiner anstehenden Heirat. Fast könnte ich |
|
ein garstig Gewissen bekommen,
wenn ich daran denke. Sicher reicht die |
|
knapp bemessene Zeit in der
Stadt nur zu einem kleinen Imbiß, und während |
|
wir hier schlemmen, muß sie in
der Ferne Hunger leiden um meinetwillen." |
|
Der Graf legte eine
Hand auf Sophies Schulter und klopfte einen strammen |
|
Rhythmus. "Sorge dich
nicht, mein Kind, jedenfalls nicht um - was? - die, |
|
Sophie, deine Mutter ist eine
starke, dicke Frau." |
|
Sophie nickte.
"Natürlich hast du wieder recht, Vater, aber dennoch." |
|
"Außerdem mußt Du nie
vergessen, Sophie - was? - mein Kind, deine Mutter |
|
handelt aus Liebe, aus Liebe
zu dir und was? Aus Liebe geschieht, ist das |
|
nicht auch gern getan?"
Der Graf schaut ihr fest ins Auge. |
|
Schwätzend traten Max
und Gundolf herein und störten die innige Trausam- |
|
keit von Vater und Tochter. |
|
"Man spricht nicht mit
vollem Mund!", tadelte sie vorsichtshalber sogleich |
|
der Vater. "Aber ich habe
doch gar nichts im Mund!", wehrte sich Max und |
|
Gundolf behauptete von sich
dasselbe. "Wie? Na dann is es gut, ich dachte |
|
ihr hättet was im Mund gehabt
beim - was? -Schwallen." |
|
"Nein, NOCH
nicht!" bemerkte daraufhin der vorlaute kleine Max und sorgte |
|
so dafür, daß sich im Nu alle
am Tisch im herzlichen Gelächter über diese |
|
lausbubenhafte Bemerkung
vereint fanden. Ja, das war die familiäre Harmonie |
|
im Hause Schwanewalde, die
Sophie so sehr vermissen werden würde. |
|
"doch nun, laßt
uns ein Tischgebet sprechen, wie?", bestimmte der Graf fest, |
|
als die sich die ausgelassene
Runde ein wenig beruhigt hatte. "Sophie, wie? |
|
Möchtest du heute nicht unsern
Herrn Jesus für die reiche Speise in meinem |
|
Hause - was? - danken?" |
|
"Freilich,
Vater", antwortete Sophie leichthin und begann unverzüglich derart |
|
intensiv und inbrünstig zu
beten, daß sogar die beiden Buben ergriffen lauschten |
|
und ihrem Vater Tränen der
Rührung vom Kinn tropften, als ihr letztes leises |
|
Hallelujah verklungen war. |
|
"Das werde ich
besonders entbehren", brüllte der Graf mit Stimme eines |
|
Ertrinkenden und schlug seiner
Tochter anerkenned auf die Schulter. "Mein |
|
Gott, beten kann das
Kind!" |
|
"Danke".
Sophie war beschämt ob soviel Lob. "Aber dir bleibt ein Trost: |
|
Ich bin ja nicht ganz und gar
aus der Welt, nur weil ich Morgen von hier |
|
gehe. Oft werde ich euch
besuchen und - ich versprech's bei der Jungfrau |
|
Maria - manches Mal noch das
Tischgebet an dieser Tafel sprechen. Yeah. |
|
Und jetzt gib mal den Pudding
rüber, Max, alles brauchst du ja auch nicht |
|
verputzen." |
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Der eilfertige Graf kam
seinem Sohn indes zuvor. Er griff zur Schüssel und |
|
wurde unversehens gewahr, daß
die vier Kirschen verschwunden waren, |
|
die dem Wackelpudding wie
Krönchen aufgesetzt worden waren. Sogleich |
|
brauste sein Zorn auf.
"Wer? Von euch Schlingels hat - was? - mehr als die |
|
eine Kirsche genommen, die
jedem von uns zugedacht war? Wie?" |
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Die beschuldigten Knaben
schwiegen. "Heraus damit", drängte der Vater, |
|
die Wahrheit ans Licht!" |
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"Max war der
gemeine Dieb!" Die Anschuldigung stand wie eine Giraffe |
|
im Raum. "Du lügst, du
Sau!" wehrte sich Max gegen die direkte Attacke |
|
und trat quasi als Rufzeichen
dem Bruder brutal ans Schienbein. "Der |
|
ekelhafte Mundräuber bist
du!" |
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Diese Szene verdroß natürlich
den Vater noch mehr. "Genug, abscheuliche |
|
Lümmel!" rief er aus,
"Brüder seid ihr und beschuldigt euch gegenseitig der |
|
Missetat? Was? Unerhört! Kain
und Abel seid ihr, Siegfried und Roy! Sofort |
|
geht ihr auf eure Zimmer, wo
ihr hungernd über eure Sünden nachdenken |
|
könnt. Was? Egal was! Egal,
wer in seiner maßlosen Selbstsucht sämtliche |
|
Kirschen verschlang, BEIDE
habt ihr euch - was? - skandalös betragen! |
|
Hinauf hinweg hinfort nun, auf
eure Zimmer, später mag Albrecht euch etwas |
|
trocknes Brot und einen Krug
mit brackigem Wasser bringen, damit ihr nicht |
|
gänzlich ungestärkt den Tag
bestehen müßt. Und nun, was? Aus meinen |
|
Augen!" |
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Schwer betroffen über dieses
harte Urteil des gestrengen Vaters kuschten |
|
die Jungen und verließen den
Raum mit gesenktem Kopf und hängenden |
|
Kiefern. |
|
"Und keine - was? -
Widerworte mehr", rief ihnen der Graf noch hinterher. |
|
"Keine? Was?"
"Nein, Vater", entgegnete Max, der wahrhaft Schuldige, |
|
kleinlaut und trollte sich.
Natürlich begab er sich mit seinen Bruder, wie |
|
nach derartigen Sanktionen
üblich, ohne lange Umwege direkt in die gräfliche |
|
Speisekammer und machten sich
dort über die Einmachgläser mit Pfirsichen |
|
her. |
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"Bist du nicht ein wenig
zu streng mit den Buben?", lachte Sophie, während |
|
sie ihrem Körper Wackelpudding
verabreichte. |
|
"Wer keine - was?
- Selbstdisziplin übt, ist für künftige Führungsaufgaben |
|
in Wirtschaft, Politik und
Kultur - was? - keinesfalls geeignet." Auch in dieser |
|
Beziehung verstand der Graf
keinen Spaß. "Keiner darf - was? - Menschen |
|
führen und leiten, der sich
nicht selbst zu zügeln weiß." |
|
"Sicherlich hast
du Recht", stimmte Sophie zu. "100%" |
|
"Dein Sentiment
ist - was? - nur allzu bezeichnend für dein schwaches |
|
Geschlecht, liebe Sophie. Auch
deiner Mutter, dieser prächtigen dicken Frau, |
|
brach - was? - so mamnches Mal
das zartbesaitete Herz, wenn ich meine Brut |
|
zu pflichtbewußten
Edelmenschen zu formen trachtete, was nun mal - was? - |
|
schier unumgänglich mit
gewissen Härten und Uerbittlichkeiten einhergehen |
|
muss. Doch auch mein Herz -
was? - blutete deswegen gelegentlich!" |
|
Ja, dachte Sophie, so
isser, der treue Vater, herzensgut, doch gnadenlos |
|
und grausam, wenn's um die
Prinzipientreue geht. "Ich bewundere deine |
|
Prinzipentreue, Vater, aber
der Pudding ist auch lecker, ist er nicht?" sagte sie. |
|
|
|
"Ja, wunderbar!
Außerordentlich wohlschmeckend, was? Ja, wenn unsere |
|
brave Adelheid, die ich schon
als Kleinkind an Köchinen statt in dies edle |
|
Haus aufgenommen habe, etwas
versteht, dann ist es die rare Kunst - was?- |
|
in diesen turbulenten Zeiten
eine Götterspeise zu braten, die diesen Namen |
|
verdient." |
|
"In der Tat, Vater,
in der Tat! Selbst der Heilige Christopherus mag in seinem |
|
Leben keine bessere
geschmecket haben!", schwärmte Sophie. |
|
"Und der war ja nun
wahrhaftig ein rechter Kenner der süßen Vorspeise", |
|
dröhnte der Graf und schlug
zur Bestätigung mit der Faust auf den Tisch, |
|
daß das Geschirr hüpfte. |
|
"Das wollte ich
damit ausdrücken", sagte Sophie erschrocken.
|
|
"Doch nun,
was?" sagte der Graf, während er eifrig den Pudding in
sich 13.3. |
|
reinschaufelte, "erlaube
mir ohne Umschweife - was? - abzuschweifen auf's
|
|
Wesentliche: Sophie, wann?
wird denn Doktor Lohner, der anerkannte Hirn-
|
|
schneider, was?, und dein
künftiger Gemahl, hier auf Schloß Schwanewalde
|
|
eintreffen?"
|
|
Sophie zögerte einen Moment,
weil auch dies wieder eine Zeile mehr ergibt.
|
|
"Er ist schon überfällig,
Vater! Er wollte bereits, so versprach er's, zum
|
|
Abendessen bei uns sein und
unsere Runde mit seinem dicken Leben |
|
komplettieren."
|
|
"In seinen Kreisen - was?
- mag Unpünktlichkeit vielleicht nicht verpönt sein",
|
|
bemerkte der Graf und runzelte
ungehalten Stirn und After, "ich hingegen
|
|
kann's nicht
goutieren." |
|
"Bittebitte, Vatilein,
sei nicht gar so streng mit meinem lieben Manfred! Ich
|
|
vermute, die Unbillen der
harschen Witterung haben das ihre dazu getan, daß
|
|
er nicht längst bei uns sitzt.
Du weißt doch, wie gerne er sitzt. Aber von
|
|
Koblenz bis hier ist's ein
weiter Weg, und der Gegenverkehr ist heutzutage |
|
enorm, außerdem stürzt der
Regen in Massen vom Himmel, die Noah zum |
|
Archehobel hätten greifen
lassen." |
|
"Fürwohl",
steuerte der Graf flugs in milderes Gesprächsklima " bei diesem |
|
Unwetter mag's beschwerlich
sein, ein Automobil sicher nach Schwanewalde |
|
zu lenken, einen Mercedes -
was? - zumal. Er wird schon noch - was? - |
|
kommen. |
|
"Wir sollten erwägen, ein
wenig von diesem herrlichen Pudding für ihn zu |
|
bewahren. Wenn er später von
den Anstrengungen der Reise gebeutelt hier |
|
eintrifft, wird eine derartige
Stärkung freilich kaum ungelegen kommen", |
|
sagte Sophie und füllte ihren
Teller erneut. |
|
"Was? Bist du doch
nur nur für eine treffliche Gastgeberin, Sophie. Glücklich |
|
darf sich dein künftiger
Gemahl preisen so einen Goldschatz für sich gewonnen |
|
zu haben." |
|
"Tja", sagte
Sophie. "Aber eigentlich bin ich auch nur ein Mädchen wie jedes |
|
andere." Es fiel ihr
nicht leicht, derart Bescheidenheit zu heucheln, aber sie |
|
spürte, daß es sein mußte,
wollte sie noch mehr Lob rauskitzeln. |
|
"Unsinn, Sophie,
ein Mädchen mit deratigen Vorzügen findes schwerlich |
|
seinesgleichen." lobte
der Graf zügi weiter und leckte von sparsamer Lebens- |
|
führung getrieben sein
Puddingschälchen ausleckte. |
|
Sophie schwieg nach
dieser erneuten Belobigung und entschied sich, daß |
|
die gute Stimmung nun weit
genug gediehen war, um nun das Gespräch |
|
endlich in unbekannte Gewässer
zu lenken. "Unser Nachbar, der Baron von |
|
Plötz, hat mir eine
Glückwunschkarte zukommen lassen", flüsterte sie fast |
|
unhörbar. |
|
"Was? Wie?".
Die Schlabberohren des Grafen spitzten sich augenblicklich, |
|
die Brille beschlug von innen
und die Zähne knarzten. "So wagt dieser - was? - |
|
Abkömmling eines verruchten
Geschlechts etwa mein Haus mit einem |
|
Schreiben von eigener Hand zu
besudeln?" |
|
"Bittebitte,
Vatilein, beruhige dich doch", suchte Sophie dem Sturm zu |
|
trotzen, es ist nichts weiter,
nur eine freundliche Geste des Barons. Gewiß |
|
ohne Arg verfasst." |
|
"Still, Sophie,
schweig! Der Name des Nichtswürdigen soll an meiner Tafel |
|
nicht genannt werden. Was? Das
müßtest du doch wissen." |
|
Doch tapfer, unbeirrt
vom entfesselten Wüten blieb Sophie beim heiklen Thema. |
|
"Vater, ich muß mit
dir dennoch weiter darüber sprechen. Ich glaube nämlich, |
|
daß diese Karte mehr bedeutet
als eine rein formelle Verpflichtung eines |
|
Nachbarn. Vielleicht will der
Baron damit ein zartes Pflänzchen setzen, weil |
|
er des unseligen Streites müde
ist, der seit Jahrhunderten die Geschlechter |
|
Schwanewalde und Plötz
entzweit." |
|
"Niemals, Sophie,
niemals!" Der Graf erhob sich und seine Stimme. "Niemals |
|
wird Eintracht sein zwischen
Plötz und Schwanewalde! Niemals, solange |
|
ich lebe und die Geschicke
meiner Familie bestimme!" |
|
"Dennoch hab ich
den Baron und seine Gemahlin zu meiner Hochzeit geladen!" |
|
Sophie sprach mit aller
Entschiedenheit. Niemals zuvor hatte sie gewadt, so |
|
mit ihrem Vater zu reden. |
|
"Was? Was? Was?
Was?". Den alten Vater rührte der Schlag, er griff sich ans |
|
Herz und rang wie asthmatisch
nach Atem. Dann ließ er seinem Zorn endgültig |
|
alle Zügel schießen. "Du
hast wahrhaftig diesen Abschaum des deutschen Adels |
|
zu deinem Ehrenfest gebeten?
Narrt mich denn ein Spuk? Diesen Sproß |
|
einer gammeligen
Raubritterknappschaft? Diesen Empörling, den nicht |
|
mal Kaiser Otto grüßte? Diesen
feisten Plebeyer, der kaum satisfaktionsfähig |
|
ist? Ja, Sophie, ist denn der
leibhaftige Gottseibeiuns in dich gefahren? |
|
Sprich, Tochter, meinen Lenden
- was?- Entsprungene?" |
|
Sophie brach in Tränen
aus. Gewiß, sie hatte nicht damit rechnen dürfen, |
|
daß ihr Vater mit Begeisterung
auf ihre Eröffnung reagieren würde, aber |
|
seine derart schroffe
Ablehnung zerstörte jegliche Hoffnung, es möchte |
|
irgendwann zu einer so
wünschenswerten Annäherung der beiden verfein- |
|
deten Familen kommen. Allein
Starrsin stand ihr entgegen. |
|
Doch Sophie blieb fest.
"Vater, ich bedauere, daß du so denkst und ich dich |
|
verstimme, allein, es bleibt
bei der Einladung. Ich kann sie nicht mehr rück- |
|
gängig machen, ohne den Baron
und die Baronin zu brüskieren. Und das |
|
will ich nicht! Und das kann
ich nicht!" |
|
"Kind, Kind, wie
konntest du nur? Was? Mich so enttäuschen. Stets habe ich |
|
dir den Hass auf alle Plötzens
eingeimpft, doch scheint's vergeblich. So ist's |
|
denn unabänderlich? Was?
Oh, schrecklicher Gedanke: Dieser wilde Mann |
|
in meinem Haus, unter meinem
Dach? Was? Vielleicht bringt er auch noch |
|
seinen Sohn mit, der in den
Klauen des Wahnsinns gefangen ist. Oder gar |
|
sein Weib! Diese kratzende
Bürste!" |
|
Sophie spürte eine spitze
Lanze in ihr Herz fahren, als sie die Anspielung |
|
auf Achim vernahm."bitte,
Vater, rede nicht weiter so unmenschlich. Du |
|
weißt doch so gut wie ich, daß
Achim, der arme junge Baron, unschuldiges |
|
Opfer eine schlimmen Infektion
wurde, die seinen Geist so sehr trübte." |
|
"Ach was!",
der Graf winkte energisch ab, als offeriere man ihm eine ver- |
|
dorbene Speise, "glaube
doch das nicht! Es ist nur ein Gerücht, was dieser |
|
Plötz", er spuckte den
Namen seines Feindes aus wie grünen Auswurf, |
|
"verbreiten ließ. Was?
Infektion? Mumpitz, sage ich! Was? Kohl, Humbug, |
|
Zinnober! Der Wahnsinn liegt
im schlechten Blut der elenden Familie! Es ist |
|
ein verrottendes Geschlecht.
Jeder weiß das! Was? Jeder sagt das!" |
|
"Vater, du verletzt
mich aber ganz schön", entgegnete Sophie, fühlte ihr Blut |
|
wallen und die Sinne
schwinden. "Doch ich verteidige keinen Plötz! Ich ver- |
|
suche allein der Wahrheit das
Wort zu reden. Aber jetzt mußt du mich ent- |
|
schuldigen, sonst läßt mich
noch mein Migräneanfall mich hier geradewohl |
|
aufs Pflaster schlagen!" |
|
"Was?", der
Vater griff fest ihr Handgelenk, um sie zu sich zu ziehen. |
|
"Begreife doch, du dummes
Kind! Versteh! Niemals kann ich mit diesem |
|
Mann und seiner
kratzenden..." |
|
Sophie jedoch schnitt
ihm ins Wort, riß sich mit einem Ruck aus seinem |
|
festen Griff und strebte
davon. "Vater, nun Schluß, ich muß mich nun zurück- |
|
ziehen! Mein Rheuma, du
verstehst!" |
|
Nach diesen heftigen
Sätzen lief sie hinaus ohne die weiteren Auslassungen |
|
des Grafen zu achten, die sich
allerdings auch in einigen "Was?" und "Was!" |
|
erschöpften. |
|
|
|
In ihrem Schnarchzimmer, der
stets Zuflucht bot, wenn Kummer sie grämte, |
|
warf sich Sophie weinend und
hadernd aufs breite Bett. |
|
Warum nur, war der Vater stur?
Warum nur, so hartherzig und engstirnig? |
|
Konnte er nicht begreifen? Und
wenn nicht, warum nicht, und wenn was? |
|
Was war denn nur so Schlimmes
daran, wenn sie den adeligen Nachbarn, |
|
Nachbar gewiß, aber adlig
auch, zu ihrer Heirat lud? Die Bornierheit des |
|
eigenen Vaters ließ sie
erschaudern. Bornierheit, warum? Bornierheit, wozu? |
|
Ach, ach, ach, es war zum
Männermelken, derart absurd. Und alles nur wegen |
|
eines antiken Zwistes, dessen
Ursache tief im Schutt der Familiengeschichte |
|
verborgen lag, unauffindbar
für jeden Lebenden. Es hatte wohl was mit |
|
Massenmord, ja Genozid zu tun,
soviel wußte sie, aber Einzelheiten von so |
|
altem Kram z.B. wer an wen
warum oder detaillierteres hatten Sophie noch |
|
nie interessiert. Darüber kann
ich doch nur schmunzeln, nicht mal lachen, |
|
pflegte sie bräsig zu sagen,
wenn's darum ging. Sie war nun mal ein Mädchen |
|
und Mädchenkram war's, was sie
lockte. |
|
Doch weshalb?, stob ihr
plötzlich durchs Hirn, weshalb bin ich eigentlich so |
|
sehr involviert? Ja, was geht
mich denn der dicke alte Baron von Plötz an? |
|
Und seine Frau? Kratzende
Bürste ist ja nun keine unzutreffende Beschreibung |
|
dieser fiesen Person! Sophie
besann sich und mußte sich eingestehen: Als der |
|
Name Achim fiel verlor sie die
Contenance, das war doch recht eigentlich |
|
der Moment, in dem ihr
Verstand aussetzte. "Ach, Achimili", seufzte sie schwer |
|
und griff sich wie spielerisch
ans Mieder. |
|
Es klopfte. Sophie
zögerte einen Momang, ob sie die Stimme zum Herein |
|
erheben sollte. Sicher war's
der Vater. Nein, den wollte sie nun gar nicht |
|
sehen. "Komm rein",
rief sie. |
|
Es war der Bruder Max.
"Na, weinste wieder, olle Heulsuse?" fragte er frech, |
|
ja kühn, nichts ahnend in
seinem kindlichen Gemüt von den Kümmernissen, |
|
die's Erwachsensein mit sich
bringen. "Hast auch 'ne Kirsche gemopst, alte |
|
Kuh?" |
|
"Verschwinde,
dummer Bengel", fauchte Sophie und schleuderte dem jungen |
|
gefühlskalten Rohling ihr
Kopfkissen ins Gesicht. Max verschwand mit rüden |
|
Ausdrücken auf den Lippen,
nicht allerdings ohne seiner Schwester vorher |
|
noch schnell die Zunge zu
zeigen. |
|
Sekunden später klopfte
es erneut. "Hau ab, du blödes Arschloch, oder ich |
|
verknote Schwanz und
Sack!", brüllte Sophie in Richtung Tür, erneut den |
|
dreisten Bruder davor
vermutend. |
|
Langsam öffnete sich die Tür,
und der Graf trat herein. "Was? Derbe tadelnde |
|
Worte findest du für deinen
Vater." sagte er kleinlaut. |
|
"Oh, entschuldige,
Vater." Sophie stand flugs auf und zupfte ihr Brusttuch |
|
zurecht. "Ich dachte, es
sei der Max, dein Sohn, der mir wieder mal einen |
|
seiner albernen Streiche
spielen wollte." |
|
"Entschuldigen
möchte und muß ich mich", bedauerte der Graf und biß ins |
|
Büßerhemd,. "Vielleicht
habe ich eben - was?- zu unbeherrscht reagiert. |
|
Schließlich ist es deine
Hochzeit, liebes Kind, und zu dem frivolen Fest |
|
darfst du einladen, wen immer
du möchtest." |
|
"danke, guter
Vater" antwortete Sophie gerührt und geschüttelt ob soviel |
|
Entkommens. "Ich weiß zu
schätzen, was dies für dich bedeutet." |
|
"Nun, morgen werden
der Gäste manche sein, daher muß ich nicht unbe- |
|
dingt mit dem unsäglichen
Plötz zusammentreffen. Was? So mag er denn |
|
kommen der Strolch! Und von
meiner Toleranz und Weiherzigkeit profitieren! |
|
Ich fürchte nur, er wird sich
dieser Ehre schwerlich würdig zeigen." |
|
Oh, danke, danke, lieber
Vater, liebes Vatilein, ja Vatsch", jubelte Sophie, |
|
umschlang den bösen Greis und
wollte im Überschwang noch viel mehr |
|
Positives daherlügen, wenn
nicht Hausfaktotum Lui sie abgelenkt hätte. |
|
Es stand unversehens in der
Tür, sein Blick flackerte abnormer denn je. |
|
"Holla, da is
eyner!" sagte er. |
|
"Donnerwetter, Lui,
was? Wie oft muß ich denn noch sagen, daß du - was?- |
|
anklopfen sollst, bevor du
irgendwo eindringst." der Graf war schon wieder |
|
vergrätzt. |
|
"Hiiiiiiiiiiiiiiii",
kreischte der Bedienste und versteckte den Kopf unter beiden |
|
Armen. "Nichschlagn,
nichschlagn, Meister!" |
|
"So beruhige dich
doch", suchte Sophie wie so oft den Wind in ruhigere |
|
Gewässer zu lenken. "Wer
begeht denn Einlaß?" |
|
"Großer böse Mann!
Böser großer Mann! Mann! Groß! Böööse!" brachte Lui |
|
stammelnd hervor und zog beide
Schultern ein, als sei schon zuviel gesagt |
|
und die Schläge der Rache
prasselten sogleich auf ihn nieder. |
|
"Wie? Was? Ein
böser Mann?". Der Graf war natürlich wieder aufgeregt. |
|
"Doch wohl nicht schon
der alte Plötz? Was? Das wäre gar zu starker Tobak |
|
nun denn? Was? Und im
Schlepptau vielleicht sein Weib, die kratzende.." |
|
Lui schüttelte nur
eifrig und ausdauernd den leeren Schadel. Schwer, porös. |
|
Der Graf insistierte,
drang weiter auf Antwort. "So rede doch, was? - Lui. |
|
Wer drang ein in unser Haus?
Der alte Plötz? So wehe ihm! Wehe ihm!" |
|
|
|
"Nein, ich bin's, der
brave Manfred!" Eine rostig schartige Stimme erklang |
|
im Flur, und flugs schob der
schmerbäuchige Doktor Lohner den angst- |
|
schlotternden Bediensteten
beiseite und trat jovial winkend ins Zimmer. |
|
Der Medizinmann hatte die
Vierzig längst überschritten, sah aber älter aus. 14.3. |
|
Auf dem schroffen Schädel
fanden kaum 1000 Haare ihr Auskommen, |
|
sein voller Bart war rötlich
gesprenkelt und die dicken hängenden Backen |
|
zierten zahlreiche Narben, die
er sich angeblich beim edlen Mensurfechten |
|
zugezogen haben wollte.
Wahrscheinlicher war indes, daß sie vom unsach- |
|
gemäßen Umgang mit
Seziermesser oder ähnlichem herrührten. |
|
"Oh, Manfred, du
bist es ja nur", Sophie stöhnte erleichtert. |
|
"Guten Abend,
Medicus!" Der Graf stand auf und streckte dem Gast eine |
|
Hand entgegen. Dr.Lohner
ergriff sie beherzt, schüttelte sie, daß es nur so |
|
eine Bewandnis hatte und
lächelte verhalten. "Ja, ich bin es selbst. Guten |
|
Abend, lieber Graf! Guten
Abend auch dir, liebste Sophie." |
|
"Lui, du armes
Stück Mensch, verschwinde aus meinen - was? - Augen! |
|
Wie konntest du nur meinen
Schwiegersohn in - was? - spe mit einem bösen |
|
Mann verwechseln?" Der
Graf trat mit einem Fuß nach dem tumben Diener, |
|
der immer noch mit offenem
Mund lüllend in der Tür stand. "Geh und hilf |
|
Adelheid in der Küche! Geh
stante pede!" Lui trollte sich tatsächlich, aber |
|
man sah, daß er noch etwas
sagen wollte. |
|
"Ein unglaublich
beschränkter Mensch", schimpfte der Graf. "Ich weiß gar |
|
nicht - was? - in seinem
kleinen Kopf vorgehen mag. Was? Wenig genug |
|
vermutlich." |
|
"Sie müssen mir
versprechen, mir sein Hirn zu überlassen, wenn es einmal |
|
eingehen sollte", bat
Dr.Lohner, "denn per professione bin ich natürlich immer |
|
an solchen abnormen Objekten
äußerst interessiert." |
|
"Aber
selbstverständlich - was? - Doktor, das verspreche ich ihnen gern. |
|
Ich fürchte nur - was? - sein
Hirn ist viel zu klein, als daß sie ihr Messer auch |
|
nur irgendwo ansetzen
könnten." |
|
"Harch-harch-harcccch",
lachte daraufhin der Hirnchirurg aufs unappetitlichste |
|
und krümmte dabei beide
Mundwinkel nach unten. "Ein guter Scherz, mein |
|
lieber Graf! Lange habe ich
nicht mehr so herzhaft lachen müssen. Aber ich |
|
kann sie beruhigen: soviel
Masse wird sein Schädelinhalt sicher haben. |
|
Zu klein! Nicht ansetzen!
Graf, sie sind ein wahrer Schelm!" |
|
Sophie verdroß dieser
rauhe Dialog. Sie fand den Moment aber auch günstig, |
|
um einmal ihre Intelligenz ins
rechte Licht zu rücken. "Ich bitte euch, können |
|
wir nicht das Thema wechseln?
Ich finde es ein wenig geschmacklos. |
|
Für mich ist es sowieso
unmöglich, daß es auf dieser Erde überhaupt wahre |
|
Intelligenz geben kann.
Immerhin dreht sich die Erde unglaublich schnell um |
|
sich selbst, dazu rotiert sie
noch schneller um die Sonne, dazu zwirbelt sie |
|
dabei auch noch irgendwie
elliptisch hin und her, dazu rast sie mit der Sonne |
|
durch die Milchstrasse, die
sich dazu wie alle Galaxien auch schnell vom Punkt des |
|
Urknalls entfernt, und das
alles in einem unglaublichen Affenzahn, wobei jedes |
|
Gehirn diese Bewegungen
mitmacht, ergo permanent in alle Richtungen |
|
schwappt und wallt und wabert
und unter solchen Umständen soll sowas wie |
|
Verstand wachsen und gedeihen?
Nicht mit mir jedenfalls." |
|
"Das Wort
"Affenzahn" will ich in meinem Hause nicht hören", murrte der |
|
Graf. "Doch bevor wir -
ich hoffe standesgemäß - was? - weiterplaudern, |
|
sollten wir uns in den Salon
begeben. Die Atmosphäre dort scheint mir einer |
|
zwanglosen Konversation unter
Männern eher angemessen. Was? Ich werde |
|
auch noch einige prima
Stellen, die ich meiner Bibel fand, vortragen, lieber |
|
Doktor." |
|
"Gut", befand
Dr. Lohner und sagte zu Sophie gewandt "Du kommst doch |
|
später auch, Liebste?" |
|
"Ja", sagte
Sophie nur und spürte ihr Hirn schwappen. |
|
|
|
2. |
|
Der Salon war ein zugiger Raum
auf der Ostseite, der wahrscheinlich noch |
|
nie beheizt worden war, daher
lag eine klamme Feuchtigkeit in der Luft und |
|
kroch die Wände herab.
Mittelpunkt des Zimmers bildeten einige verstaubte |
|
Sitzgelegenheiten, die
offensichtlich spätestens ausgangs des Rokoko schon hätten |
|
zu Klump geschlagen werden
müssen. Aber auch das wurde offenbar ver- |
|
säumt. Für ein wenig
Behaglichkeit, wenn man denn dieses Wort mit Gewalt |
|
benutzen will, sorgte allein
die mächtige Schirmlappe mit der flotten Glühbirne, |
|
die ein gar anheimelndes
Lichtlein warf und verschiedene Regale beleuchtete, |
|
die die hauseigene Bibliothek
beherbergten. Sie bestand durchweg aus abge- |
|
griffenen Schwarten mit Titeln
wie "Der Großadel im Wandel der Zeiten" |
|
oder "Das kleine Buch der
großen kleinen Männer" oder "Herrsche und lache |
|
auch dabei - Regieren kann
jeder". |
|
Als Sophie den Salon
betrat, bemerkte sie gleich, daß es mit der Stimmung |
|
der beiden Männer nicht zum
besten stand. Ihr Vater zog mißmutig an einer |
|
billigen Zigarre, ihm
gegenüber saß Dr.Lohner, die Hände tief in seiner Jacken- |
|
tasche vergraben starrte er
den Grafen eindringlich an. |
|
"Ei, so ernst, ihr
beiden? Waren die Bibelstellen so nachdenkenswert? Oder |
|
langweilt ihr euch etwa ohne
mich?" |
|
"Geschäftliches -
was?", antwortete der Graf äußerst kurz ab und Sophie spürte |
|
sogleich, daß das hieß, sie
solle nicht weiter fragen. Um ein Gespräch |
|
unbesorgterer Art zu beginnen,
fragte sie den Doktor, wie anstrengend sich |
|
denn die weite Anreise
gestaltet habe. |
|
Dankbar nahm Dr.Lohner die
Frage auf. "Die Fahrt war eine durchaus anstren- |
|
gende, wiewohl mit wenig
Turbulenzien, dafür reichlich Flatulenzien gesegnet. |
|
Kurz hinter Koblenz - die
Stadt lag linkerhand im frühen Feierabendverkehr- |
|
setzte unversehens starker
Regen ein, der sich ständig nährte und nährte, |
|
bis ich ihm gänzlich
ausgeliefert war. Auf dem letzten Kilometer Schloß |
|
Schwanewalde hinan wäre ich
bald mit meinem Wagen steckengeblieben |
|
im Schlamm, ich weiß nicht,
schlammschlamm, was ich getan hätte, wenn |
|
ich tatsächlich im
Schlamm..." |
|
"Dr. Lohner, ein
Anruf für sie!" Hausdiener Albrecht stand mit erhobenem |
|
Zeigefinger in der Tür.
"Ich habe das Gespräch ins Rauchwarenzimmer gelegt, |
|
wenn sie nun bitte kommen
möchten." |
|
"Danke, guter
Albrecht, ich komme sofort." Dr. Lohner schien überrascht. |
|
"Keinen blassen Schimmer,
nein, keine feuchte Vorahnung, wer mich ausge- |
|
rechnet jetzt und hier zu
stören wagt." |
|
"Gehen sie nur,
Doktor, was? Sagte der Graf. Der Medziner folgte Albrecht |
|
ins Nebenzimmer und schloß die
Tür hinter sich ab. |
|
Sophie setzte sich aufs
muffige Sofa neben den Vater. "Bist du verrückt, |
|
lieber Guter?", fragte
sie nach einer Weile, in der sie nur stumm neben ihm |
|
gebrütet hatte. |
|
"Was?" fragte
der Graf entgeistert. |
|
"Oh, pardon
moi", stellte die Tochter den Lapsus der Zunge sogleich in |
|
die richtige Ecke. "Ich
habe mich versprochen: Ich meinte, bist du bedrückt, |
|
Vater, lastet Unbill auf Gemüt
und Herzen?" |
|
Der Graf zuckte die
Achseln."Ja, es gibt ein durchaeus heikles, schwerwiegendes |
|
Problem! Ja, zwischen dem
Doktor und mir. Was? Jaja! Doch ich kann und möchte |
|
mich hier und jetzt - was? -
nicht näher darüber auslassen. Ich danke dir, |
|
Sophie, aber kurzum: Ich will
nicht - was? - darüber sprechen." |
|
"Wo Mamatschi nur
bleibt?", fragte Sophie. |
|
"Wer bitte?" |
|
"Muttsch!" |
|
"Was? Wer? So
drück dich doch verständlich aus, Kind." |
|
"Mutter! Wo bleibt
sie nur?" |
|
"Ach, die, die wird
wohl vor dem Unwetter irgendwo Zuflucht genommen haben. |
|
Sophie, was? Mach dir doch um
die keine Sorgen, die ist ja nicht aus Zucker. |
|
Außerdem ist doch Bernhard mit
ihr, unser Chaffeur und Wagenlenker, der |
|
umsichtigsten einer unter
unseren Bediensteten." |
|
"Ja, Vater, das ist
er fraglos. Dennoch. Ich kann nicht verhehlen, daß ungute |
|
Ahnungen mein Herz umfassen,
ja würgen." |
|
"Belaste doch dein
hübsches Köpfchen - was? - nicht mit fruchtlosen |
|
Grübeln und Graubeln! Deine
dicke Mutter wird gewiß schon bald zurück- |
|
kommen." |
|
"Nein, Vater, du
hast Recht. Ich bin nun beruhigt." |
|
"Kind, höre auf
dich mit sinnlosem Sinnieren und Sorgen zu martern - was? - |
|
Deine Mutter kehrt bald heim,
gewiß". |
|
"Ja, Vater, meine
Sorgen sind sinnlos, ich weiß". |
|
"Drum halte doch
bitte ein mit dem fruchtlosen Grübeln und Graubeln. |
|
Sie wird zurückkommen - was? -
deine Mutter!" |
|
"Nein, Vater,
ich..." |
|
"Dochdoch",
unterbrach sie der Graf, "glaube mir, die kommt zurück. Sie |
|
ist noch immer zurück
gekommen." Der verquaste Dialog hätte sicher nie |
|
ein Ende gefunden, wenn nicht
Dr. Lohner wieder das Zimmer betreten hätte. |
|
Er wirkte bedrückt und ließ
die Backen länger hängen denn gewöhnlich. |
|
"Nun, lieber
Manfred, fragte Sophie von Neugier gebeutelt, "wer war denn |
|
am Fernsprecher? Es gibt doch
nicht schlechte Nachrichten oder?" |
|
"Was? Schlechte
Nachrichten?" Erregt und freudig sprang der Graf auf. |
|
"Es wird doch wohl nicht
meiner lieben Emily etwas zugestoßen sein? |
|
Ein Unfall auf regennassem
Geläuf vielleicht? Was?" |
|
"Oh, grundgütiger
Gott!" Sophie zitterte wie ein Zitherspieler am ganzen |
|
Körper. "Mamatschi!
Mutsch! Sag die Wahrheit, Manfred! Es ist doch wohl |
|
nichts mit Mutter geschehen?
Die Straßen? Gar regennaß! Wie leicht schlittert |
|
man dahin und der
Straßengraben, wie nah er dann schnell sein kann! |
|
Dr.Lohner trat flink
hinzu und faßte Sophies Hand. "Neinnein, so be- |
|
ruhige dich nur, Liebste, mit
der Gräfin ist nichts geschehen. Es war nur ein |
|
alter Schulkamerad von mir am
Telefon. Ich wollte mir nur zur anstehenden |
|
Hochzeit mit dir gratulieren
und uns seinen Segen spenden." |
|
"Und will er -
was? - kommen", fragte der Graf mißtrauisch. |
|
"Nein, Zeit und
Lust verhindern es!" |
|
"Gottseidank,
was?" Der Graf sank erleichtert wieder in den schweren Sessel |
|
nieder. Staubschwaden
stiegen auf. "Da haben sie uns mit ihrem - was? - leicht- |
|
fertigen Gerede über meine
gute Frau aber einen schönen Schrecken eingejagt, |
|
Doktor". |
|
Dr. Lohner äußerte sein
Bedauern über dies Mißverständnis und setzte sich |
|
in einen Sessel zur Rechten
Sophies. Er nahm ihre Hand und drückte sie fest. |
|
In der anschließenden
Konversation versuchte er sichtlich seinen katastrophalen |
|
Gemütszustand mit öden
Redensarten zu übertünchen, was ihm aber nur |
|
allzu unvollständig gelingen
wollte. Die Unterhaltung war zähflüßig und |
|
bemüht. |
|
Manchmal stöhnte Sophie
bitterlich, und ihr Vater suchte sie damit zu trösten,
16.3. |
|
daß ihre Mutter ja gewiß als
bals wiederkehre. Manchmal stöhnte Dr. Lohner, |
|
und beeilte sich ihn zu
versichern, daß sich ihre Sorgen um den Verbleib der |
|
Mutter längst verflüchtigt
hätten. Manchmal stöhnte auch der Graf, und Dr. |
|
Lohner und Sophie fanden
schnell billige Worte für ihn. |
|
Endlich öffnete sich
die Tür des Salons. "Mutter", rief Sophie aufs
geradewohl |
|
"Emily? Was?",
brüllte der Graf. "Ja, was ist denn schon wieder", murrte
Dr. |
|
Lohner, denn es war nur Lui,
der geistig lahmende Bedienstete. |
|
"Große böse
Mann!" sagte er erregt, und seine Arme rotierten dabei. "Draußen! |
|
Mann, groß und böse!" |
|
"Armseilger
Tor", schimpfte der Graf "verschone uns doch mit -was?- deinem |
|
hirnlosen Geschwätz!"
Allein Lui ließ sich nicht beirren und trotze dem Gegend- |
|
wind, den er entfacht hatte.
"Draußen! Mann!" entfuhr's ihm ein ums andere |
|
Mal und er zeigte aufgeregt in
Richtung Fenster. Während der Graf ihn an- |
|
sprang und fest im
Schwitzkasten niederwürgte, ging der Doktor entschlossen |
|
zum Fenster und grunzte
jovial: "Aber das ist doch nur der Bernhard, der |
|
gute Chaffeur. Und die Frau
Gräfin ist auch zurück." Er wand sich Lui zu, |
|
der mit hochrotem Kopf
versuchte sich dem Arm des Grafen zu entwinden. |
|
"Sag, kennstDu denn den
Bernhard nicht mehr?" |
|
"Bernhard, was? Ja,
den soliden Wagenlenker kennst du nicht, was? " Dem |
|
Grafen schauderte es vorm
Abgrund der Unwissenheit, der sich vorm ihm |
|
offenbar auftat. Er ließ dem
Domestiken frei und wollte ihn treten, verfehlte |
|
den Tor aber ähnlich weit wie
Uli Höneß anno '76 das tschecheslowakische. |
|
"Hinaus, wahnsinniger
Lakai!" Der Fehltritt steigerte natürlich noch die Wut |
|
des Grafen. "Hinaus, ehe
ich zum - was?- Ochsenziemer greife!" |
|
"Hiiiiiiiii",
heulte Lui und verschwand. "Und mach die Tür zu!" donnerte |
|
der Graf hinter ihm, als er
gerade die Tür schloß. Daraufhin kam der Bedienstete |
|
wieder herein und fragte mit
einfachen Worten, was man denn begehre, worauf |
|
der Graf außer sich vor Zorn
rief, daß er wünsche, daß die Tür sachgemäß |
|
geschloßen werde, was wiederum
den Diener dermaßen erschütterte, daß er |
|
wehklagend davonlief und die
Tür sperrangelweit aufstehen ließ. |
|
"Oh, dieser
Trottel!" wütete der Graf vor sich hin "ich weiß nicht, wielange |
|
ich - was? - ihn noch die
dünne Suppe löffeln lasse unter meinem Dach." |
|
Wie stets war's Sophie,
die versuchte die Wogen zu glätten. Sie stand auf |
|
und schloß die Tür.
"Vater, aber er ist doch billig. Nur Wohnen und die Kost, |
|
also was die Schweine übrig
lassen. Das mußt du auch wohl bedenken. |
|
Was mich vielmehr beunruhigt:
Warum nennt er unseren braven Bernhard |
|
einen großen bösen Mann? So
groß ist der doch gar nicht, nur mit Mühe ragt |
|
seine Nase übers Lenkrad, und
ansonsten ein herzensguter Bursche, der dem |
|
armen Lui allzeit menschliches
Verständnis, ja kreatürliches Wohlwollen |
|
entgegenbringt." |
|
"Paranoia!"
konstatierte Dr. Lohner knapp. |
|
"Unwissenheit des
gemeinen Volkes", riet der Graf. |
|
"Und dennoch eine
kreuzbrave Seele", gab Sophie laut. |
|
"Trotzdem",
blaffte Dr. Lohner zurück. "Pa-ra-noi-a! |
|
"Ein Mensch ohne
jede Bildung aus den unteren Schichten, würde - was?- |
|
Schelsky sagen. Aber - was?-
seinen gnädigen Gott mag er nur preisen, daß |
|
er in meinem Haus Obdach und
Brot findet", zürnte der alte Adelsmann |
|
unverdrossen weiter,
"aber wielange noch, ja wielange? Was?" |
|
"Bitte, Vater,
verhärte dich doch nicht arg zu arg in plötzlicher Raserei!" |
|
Rührend legte Sophie erneut
Fürbitte ein. "Schließlich ist er uns doch zuge- |
|
laufen!" |
|
"Paranoia!",
wiederholte Dr. Lohner. "Oder auch plem-plem, wie der Nicht- |
|
akademiker in Unkenntnis
wissenschaftlicher Terminologie so gern dahin |
|
sagt. |
|
"Bitte, lieber
Doktor, - was?- bedienen auch sie sich doch in unter meinen |
|
Giebeln einer etwas
gewählteren Ausdrucksweise", wies ihn der Graf pikiert |
|
zurecht. "Was?" |
|
"Okidoki",
sagte Dr. Lohner, "aber mein Paranoia bleibt bestehen. Paranoia! |
|
Pa-ra-noi-a!" |
|
Die Tür ging auf und
mit Getöse fiel die Gräfin ins Zimmer und ihm ins Wort. |
|
"Potzblitz - was?
-" entfuhr es dem Grafen und nach kurzem Zaudern sprang |
|
er seiner Gattin bei. Dr.
Lohner, der ebenfalls nach einigen Grußworten her- |
|
beigeeilt war, half dem Grafen
die Gestürzte aufzurichten. Offenbar hatte der |
|
Sturz der Gräfin die Besinnung
geraubt, und auch Sophie schwanden vor |
|
Schreck die Sinne und sie sank
ohnmächtig hintüber. Wieder stiegen mächtige |
|
Staubschwaden auf. |
|
"So helfen sie
doch - was?- jetzt lieber meiner Tochter", forderte der Graf, |
|
nachdem sie gemeinsam die
besinnungslose Frau in einen freien Sessel ge- |
|
schleift und reinbugsiert
hatten. Während sich der Doktor flugs um seine |
|
Geliebte bemühte, nahm der
Graf kurzentschlossen eine Dose Mineralwasser |
|
vom Tisch und goß ihr den
kalten Inhalt in den Nacken. Das weckte sofort |
|
wieder ihre
Lebensgeister. |
|
Auch Sophie erwachte
schnell aus ihrer albernen Bewußtlosigkeit, als sich
|
|
Dr. Lohner über sie beugte und
ihr die Wange tätschelte. Mit seinem penetranten
|
|
Mundgeruch wäre es selbst
Jesus nicht gelungen, den armen Lazarus zum
|
|
Weiterleben zu bewegen. Aber
Sophie war aus anderem Holz gewachsen. |
|
Mutter und Tochter
ehoben sich nahezu gleichzeitig, die eine sank in die Arme
18. Mrz |
|
ihres Gatten, die andere
in die ihres zukünftigen. |
|
"Oh, ich Tölpelige,
"flüsterte die Gräfin ihren Mann ins Ohr, "allweil muß
ich |
|
wohl die Reihenfolge meiner
Schritte nur unzureichend koordiniert haben.
|
|
Verzeih."
|
|
"So war das wohl,
was?", tröstete sie der verständnisvolle Gemahl. "Eine
Un- |
|
geschicklichkeit - was? - die
selbst mir gelegentlich schon unterlaufen sein mag."
|
|
"Oh, ich arg
Verzärtelte", flüsterte auf der anderen Seite des Salons
Sophie |
|
ins Ohr ihres alsbaldigen
Kerls, "verlier ich doch die Sinne, nur weil meine
|
|
Mamatschi lang
darniederschlägt!" |
|
"Ja, ich
weiss", sagte Dr. Lohner, "aber das wird sich auch noch
ändern, |
|
das versprech ich dir." |
|
"Was? , äh wie
geht's denn meiner lieben Sophie?" erkundigte sich der Graf. |
|
"Danke, gut"
antwortete der. "Und wie steht's mit dem Befinden der verehrten |
|
Frau Gräfin?" |
|
"Danke der
Nachfrage, Doktor. Alles bestens, sie steht und geht!" |
|
Mutter und Tochter
waren indes überwältigt von ihren Gefühlen aufeinander |
|
zu geeilt, umarmten sich innig
und kämpften mit den Tränen. "Mamatschi, |
|
du mein Alles",
schluchzte Sophie. "Sophie, liebes Kind", retournierte die |
|
Mutter. |
|
Derweil gingen die
beiden Herren zum Getränkeschrank, um sich auf den |
|
Schrecken "erstmal
gepflegt eins in die Birne zu kippen", wie das ein lang- |
|
jähriger Bundeskanzler so gern
ausdrückte. |
|
|
|
Der junge Mann in
seiner groben Anstaltskleidung, die noch vor wenigen |
|
Stunden grauweiß gewesen war,
von alten Urinflecken gesprenkelt, nun aber |
|
vor Schmutz starrte, kämpfte
sich erschöpft, doch unentwegt, durchs regen- |
|
nasse Unterholz. Zweige
schlugen ihm ins Gesicht schmerzhafte Rötungen |
|
hinterlassend und erstaunlich
viele Vogelnester, teilweise mit Inhalt, hatten |
|
seinen Kopf getroffen,sich
dort verheddert, und ihm einen Dornenkrone |
|
mit Eiersalat aufgesetzt. Es
war als eilte Jesus selbst durch den deutschen Forst |
|
in atemloser Flucht vor seinen
Gläubigern, denen zwar er, die aber keinesfalls |
|
ihm vergeben wollten. |
|
Mit aller Kraft bahnte sich
der Jüngling seinen beschwerlichen Weg durch den |
|
schon dunklen Wald, den ihm
allein das der dünne Lichtstrahl seiner entwen- |
|
deten Taschenlampe wies. |
|
In der Ferne schlug
eine Nachtigall dumpf die Trommel. Für einen kurzen |
|
Moment hielt der Flüchtige mit
Fliehen inne, er blieb stehen und lauschte dem |
|
erhebenen erhabenen Klang. Ja,
das war Schönheit von göttlichem Kaliber! |
|
Verstohlen kroch eine Träne
aus seinem Augenwinkel hervor und floß wie |
|
siedend Suppe die Backe herab.
Mannmann, wahre Schönheit hinterläßt den |
|
Menschen stets befangen. |
|
Endlich entließ ihn die
Magie der Natur aus ihrem Zauber. Der junge Mann |
|
wischte sich energisch die
Träne vom Kinn und strebte von neuer Kraft |
|
beseelt, ja beflügelt, hinan,
Schritt für Schritt dem gar nicht mal so sehr fernen |
|
Ziel entgegen. |
|
Plötzlich ließ eine
Eule ihren kauzigen Schrei vernehmen. |
|
Um Himmels willen,
durchfuhr's den Flüchtigen, ein Uhu! Der herzlose Schlächter |
|
gar mancher kleiner
Waldbewohner. |
|
Oder Wölfe gar? Bleich im
plötzlichen Schrecken verdoppelte er seinen Eifer |
|
möglichst bald aus den
gefährlichen, entsetzlichen Forsten zu gelangen, in |
|
wilder Flucht gepeitscht von
den Geißeln der Bäumen, gemartert aber auch |
|
von düsteren Ängsten. |
|
|
|
3. |
|
Sophie und ihre Mutter hatten
sich zu den Männern gesetzt, die schon eine |
|
gute Flasche Mariacron geleert
hatten. Die Gräfin langweilte alle entsetzlich |
|
mit ihrer nicht enden
wollenden Erzählung der Abenteuer, die sie beim Einkauf |
|
in der Stadt erlebt hatte.
Beispielsweise ging es um falsch etikettierte Ware |
|
oder dem Umstand, daß sie im
Schlüpferladen von der falschen Seite bedient |
|
worden war. Danach besprach
die kleine Runde noch Einzelheiten, die die |
|
bevorstehende Hochzeit
betrafen. Alles schien aufs vortefflichste arrangiert, |
|
jedes lausige Detail bedacht.
Gegen Mitternacht dann bestimmte der Graf, |
|
daß es nun Zeit für alle sei
sich in die Schlafgemächer zurückzuziehen, zumal |
|
weiterer Alkohol keinesfalls
zu erwarten sei, es sei denn der Doktor habe in |
|
seiner Weitsichtigkeit noch
einen guten Tropfen greifbar. |
|
Der Doktor aber
schüttelte nur traurig den Kopf. |
|
"Was? Schade aber
auch", sagte der Graf. Er stand auf und wandte sich |
|
in der Tür noch an Dr. Lohner.
"Lassen sie - was? - mich das Problem noch |
|
eine Nacht überschlafen.
Morgen früh schon kann ich ihnen dann sicher |
|
meine definitive Position
mitteilen. Gewiß werden sie mir noch ein günstigeres |
|
Angebot machen können?
Was?" |
|
Dr. Lohner warf als
Antwort nur sein Gesicht in ekelhafte Falten und |
|
brumpfte nur bitter. |
|
|
|
Als Sophie mit ihm zu
ihren Schlafzimmern im Westflügel ging, fragte sie |
|
ihren Manfred ernst, aber auch
vor Neugier schier platzend, welcher Art denn |
|
die Probleme seien, die er mit
ihrem Vater habe. Dr. Lohner wollte sich in |
|
ausweichende Antworten
flüchten, allein Sophie konnte er nicht beirren, |
|
entschlossen stellte sie ihn
zur Rede. |
|
"Manfred, Schluß
jetzt! Morgen sind wir Mann und Frau, und ich darf von |
|
meinem Mann erwarten, ja
fordern, daß er vor mir keine Geheimnisse ver- |
|
birgt. Was ist los, raus
damit!" |
|
Der beliebte, pardon
beleibte Hirnchirurg zögerte einen langen Moment. |
|
"Sophie, du hast ja
recht, meine Liebste! Ich muss alles gestehen. Hat doch |
|
alles keinen Wert sonst!
Sophie, mein Augenstern!", flüsterte er speichelnd |
|
und griff ihr dabei nervös ans
Mieder. "Tatsächlich gibt es ein Geheimnis, das |
|
ich dir anvertrauen muss.
Wiewohl ich dich recht eigentlich nicht damit |
|
belasten wollte, denn es ist
bitter! BITTER!" |
|
"Ein Geheimis
also? So rede doch, Manfred, rede!" drang Sophie in ihn und |
|
faßte in angespanntester
Gefühlsage wie geistesabwesend in seinen Schritt. |
|
"Es
ist...nun..ach..wie soll ich es nur sagen? Wer kennt die rechten Worte?" |
|
"Bekenne es nur
freimütig", ermunterte ihn Sophie " und bete, daß ich dir |
|
auch verzeihen kann." |
|
"Sophie, mit dir
direkt hat es nichts zu tun, es ist...mannomann, Sophie..", |
|
wieder stockte der Doktor und
ihre Brust heftiger. "Also es ist.. Es handelt |
|
sich, um.. Sophie, ich werde
ERPRESST!" Erleichtert stöhnte Dr. Lohner |
|
auf. "Jetzt ist die
Wahrheit draußen!" |
|
Sophie taumelte ob
dieser Enthüllung als ob Sylvia Harnisch, oder wie die |
|
Schlägerin heißt, ihr einen
Schwinger verpaßt. Glücklicherweise konnte sie |
|
an Dr. Lohners Unterleib
geistesgegenwärtig einen gewissen Halt finden. |
|
"Erpreßt? Manfred, dich?
Aber um Gottes willen, wer kann denn dir Übles |
|
wollen?" |
|
"Der Erpresser
natürlich", entgegnete Dr. Lohner dessen freudiger Über- |
|
raschung inzwischen Schmerz
gewichen war, aber er biß die Zähne fest |
|
zusammen. |
|
"Ja, gewiß, du
hast Recht, ich vergaß. Aber sag: sein Name? Kennst du den |
|
Namen des gemeinen
Verbrechers?" |
|
"Nein, liebste
Sophie! Aber würdest du ihn jetzt loslassen? Du reißt ihn
ja |
|
noch
raus!" |
|
Sophie gab den Doktor
frei und faßte sich lieber an den Kopf. "Verzeih,
19.3. |
|
Lieber, aber die Aufregung!
Diese Aufregung. Doch so sprich doch weiter:
|
|
Wer erpreßt dich - ja, du
ahnst es nicht - aber warum. Warum, Manfred?"
|
|
Die Gesichtszüge des
Arztes entkrampften sich. "Nun, auch das ist nicht so
|
|
leicht zu
sagen." |
|
"Doch nicht?...Eine
andere Frau?", rief Sophie verzweifelt, "sag,
Manfred, |
|
es gibt da doch etwa nicht
noch eine andere, die dein Herz einst gewonnen hatte
|
|
und nun auf ihre
nichtswürdigen Rechte pocht?" |
|
"Nein, sei nur
beruhigt in dieser Beziehung. Eine andere Frau, eine andere
|
|
Liebe gar, ist wahrlich nicht
im Spiel!" Dr. Lohner grunzte mißmutig. "Das
|
|
weißt du doch inzwischen:
Welche Frau - außer dir - würde denn mir ihre
|
|
Zuneigung schenken? Mir,
dessen unreiner Atem seit ich denken kann
|
|
die Damenwelt
verdrießt?" |
|
Da hatte er rechte,
dachte Sophie bei sich. Aber konnte sie in dieser Stunde |
|
dem reichen Zukünftigen vor
den Kopfstoßen? Nein, das kann ich nicht, |
|
antwortete ihr gutes Herz
ihrer ebenso guten Nase, das darf ich nicht. |
|
Daher versuchte sie ihren
Manfred aufzumuntern. "Ach geh fort, Manfred, |
|
dein unreiner Atem ist doch so
unrein nicht. Und bedenke auch, ist er es |
|
nicht recht eigentlich, der
erst den Mann so männlich macht? Der ihn erst |
|
scheidet vom niederen
Getier?" |
|
"Oh, Sophie, du
findest doch stets ein trostreich Wort für mich!" Doktor |
|
Lohner war schwer begeistert
von ihrer Einstellung auch rührte ihn die |
|
liebevolle Toleranz, deren
Echo er darin zu hören glaubte. |
|
Weiß Gott, dachte
Sophie, aber im Moment richtete sich ihr Interesse allein |
|
auf die Beantwortung ihrer
Frage. "So eröffne dich mir doch, Manfred, |
|
warum erpreßt dich der gemeine
Schurke?" |
|
"Du erinnerst dich
an unseren Polterabend?", fragte Dr. Lohner mit brüchi- |
|
ger Stimme. |
|
"Was für eine
Frage, Manfred", entgegnete Sophie und lächelte unwillkürlich |
|
beim Gedanken an diese
glückselige Veranstaltung. "Ein wundervoller Abend! |
|
Voll Musik und Tanz, voll
leichtsinniger Ausgelassenheit und wahrer |
|
Lebensfreude!" |
|
"Ja",
sinnierte der Doktor "voll Glück und Geploter! Aber du vergißt, daß |
|
auch Alkoholika gereicht
wurden." |
|
"Gewiß, der Alkohol
wurde reichlich ausgeschenkt. Ich bitte dich! In unseren |
|
Breiten, in unseren Kreisen
zumal, gehört er doch zu den unverzichtbaren |
|
Bestandteilen eines gelungenen
frohen Festes. Prickelnder Champagner und |
|
sprudelnder Sekt, von kundigen
Händen gekeltert, edler feuriger Wein, an |
|
sonnenüberfluteten Hängen
gereift, der Saft der Gerste, sowie vollmundiger |
|
Apfelschluck..." |
|
"Doch dir ist auch
wohl bekannt", unterbrach der Doktor ihren Sermon, |
|
"daß der Alkohol auch
dunkle schlummernde Kräfte entfesseln kann, so man |
|
ihn nicht unter der Fuchtel
weiß?" |
|
"Manfred!",
entrüstete sich Sophie sogleich, "ich bin kein unschuldiger Brat- |
|
fisch mehr, und die Dämonen,
die im Reben- und Getreidesaft hausen, kenn |
|
ich nicht nur von den
eindringlichen Warnungen meiner Eltern her mehr |
|
denn gut, wie oft schon suchte
ich stinkbesoffen..." |
|
"Dann höre,
liebste Sophie", unterbrach Manfred sie erneut. "An jenem |
|
unheilvollen Abend hatten mich
diese Dämonen in ihrer Gewalt." |
|
"Was?" Sopghie
tat überrascht. "Aber weshalb merkte ich nichts davon? Du |
|
warsat doch an jenem Abend
stets an meiner Seite." |
|
"Wohl das, liebste
Sophie, und dennoch spürte ich ihre Macht." |
|
Sophie griff sich
unvermittelt an den Kopf, Schuppen stoben durch die |
|
Lüfte. "Deshalb also!
Deshalb unterlief dir das traurige Mißgeschick, die wert- |
|
volle uralte chinesische Vase,
ein Geschenk Marco Polos an einen meiner |
|
beliebten Vorfahren mit bloßer
Faust in tausend Scherben zu schlagen |
|
mit einem fröhlichen Jodler
auf den Lippen." |
|
"Ja, Übermut
genährt vom maßlosen Alkohol verleitete mich dazu!" gestand |
|
Dr. Lohner beschämt. |
|
"Nun, ich
übertreibe nicht, wenn ich behaupte, daß ich derlei schon ahnte |
|
in jenem Moment." Sophie
verstand und ihr Mitgefühl ward geweckt. "Aber |
|
sprich weiter, Manfred,
enthülle dich mir nur erbarmungslos weiter." |
|
"Ja, jener Abend
war furchtbar, doch furchtbarer noch war der Katzenjammer |
|
am anderen Morgen:
Zehntausende fleißige Mainzelmännchen schienen in |
|
meinem Schädel auf ihren
Ambößlein zu hämmern!" |
|
"Oh, armer armer
Manfred, du!" |
|
"Nein, recht
geschah mir. Alles war mehr als verdient." |
|
"Oh nein,
Manfred", widersprach Sophie heftig, "solch Höllenqualen ver- |
|
dient kein wertvoller wie du!
Doch quick weiter: Ein durchzechter Abend |
|
ist doch nichts, was ein
Erpresser gegen dich verwenden könnte." |
|
"Und wiederum hast
du recht, Liebste. Doch der alkoholgetränkte Abend |
|
ist die eigentliche Ursache
des folgenden Unglücks. Denn am bewußten |
|
Morgen, mein Kopf drohte
schier zu bersten, mußte ich in die Klinik und |
|
arbeiten. Ein Hirn harrte der
Verpflanzung." |
|
"Aber hätte nicht
die Operation noch Zeit gehabt? Hätte nicht vielleicht |
|
ein Famulus an deiner
Stelle..." |
|
"Natürlich hätte
sie das, Hirnverpflanzungen sind selten unaufschiebbar", |
|
unterbrach sie der Doktor,
"aber mein nagender Kopfschmerz verlangte |
|
nach Beruhigung, und du weißt
ja, mich am besten meine Arbeit beruhigen |
|
kann. Deshalb fuhr ich gegen
Mittag ins Spital, um mich dort durch eine |
|
kleine Operation, reine
Routinesache, ein wenig abzulenken. Heute da alles |
|
zu spät ist, weiss ich auch,
daß es ein Fehler war, ein folgenschwerer Fehler. |
|
Denn während dieser Operation
wollten meine sonst so flinken geschickten |
|
Finger manches Mal nicht
meinen Gedanken folgen und ich..." Dr. Lohners |
|
Stimme bebte und er schlug
sich mit blanker Faust aufs Herz, "..und ich.. |
|
ich machte große Fehler!"
Er schluchzte wie ein kleines Kind. |
|
"Oh Gott!"
Grausen faßte Sophie bei dieser Vorstellung kalt im Nacken. |
|
Sie faßte den unglücklichen
Gefolgsmann des Hippokrates fest an die |
|
Schultern und schüttelte ihn.
"Und? Manfred, und?" |
|
"Als ich
stümperhaft das Hirn aus dem Kopf des einen Patienten geschnitten |
|
hatte", setzte der Doktor
stockend fort,"und es in den Schädel des anderen |
|
einsetzten wollte, zitterten
meine Hände unversehens wie welkes Espenlaub |
|
im fauchenden Herbststurm.
Kurzum: Das Hirn entglitt meinen Händen und |
|
fiel zu Boden!" Der
Mediziner schnaufte bitterlich und vergrub sein Gesicht |
|
in beide Hände. |
|
"Mannomann! Hat
man dergleichen je gehört?" Sophie war entsetzt, zeigte |
|
aber sofort ihr praktisch
veranlagtes Wesen. "Allein, hättest du nicht das Hirn |
|
nicht einfach aufheben können,
mit einem Lappen gründlich abputzen |
|
wegen der sicher strengen
Hygieneverordnung und dann einsetzen können? |
|
Hätte doch keiner
gemerkt." |
|
"Sicherlich, Sophie, sicherlich das. Aber ein weiteres, weit größeres
Unglück |
|
widerfuhr mir. Oh Schande, ich
muss mich so sehr schämen dafür. Mir kommen |
|
die Tränen, wenn ich auch nur
an mein Pech denke." |
|
"Noch ein Unglück?
Ja, nimmt das denn gar keine Ende? Welch größeres |
|
Unglück kann es denn noch
geben?" |
|
"Just als ich das
entglittene Hirn vom Boden aufheben wollte, rutschte ich |
|
auf einem Blinddarm aus, nein,
eine Niere war es wohl, die von einer früheren |
|
Operation her dort noch lag,
stürzte überaus unglücklich und fiel mit meinem |
|
Podex auf das Hirn des mir
anvertrauten Patienten. Es nahm selbstredend |
|
erheblichen Schaden
dabei." |
|
"Manno, Manfred, du
bist mir einer! "Mißbilligend schüttelte Sophie den Kopf.
21.3. |
|
"Wie kann man denn nur so
ungeschickt sein." |
|
"Du tadelst mich
nur mit allzu großem Recht, Sophie. Wie konnte mir nur das |
|
passieren? Diese Frage stelle
ich mir seitdem Tag für Tag, Nacht um Nacht, |
|
Woche um
Woche." |
|
"Unglücklichster,
berichte nun weiter." |
|
"Nun, ich
verpflanzte den blutigen Hirnklumpen - obwohl unnatürlich deformiert
- |
|
in den Kopf des anderen
Patienten, und er lebt, er lebt, Sophie, wenn er auch bis |
|
zur Stunde zu keinem klaren
Gedanken fähig zu sein scheint." |
|
"Aber er lebt,
Manfred, er lebt! Das ist doch schließlich die Hauptsache."
|
|
Erleichtert ließ Sophie den
Atem und damit die Anspannung weichen. |
|
"Sicher, dennoch
mach ich mir schwerste Vorwürfe. Begreife doch, Sophie:In den
|
|
lichtesten Momenten hält
er sich für Lothar Matthäus, den Balltreter, und quasselt |
|
auch so daher. Ich bitte dich
Sophie: Das ist doch kein Leben!" |
|
"Natürlich
verstehe ich, schließlich bin ich kein Bratfisch mehr, doch ich versichere
|
|
dich, Manfred, du trägst die
Schuld nicht allein. Auch ich habe meinen Teil zu |
|
stemmen! Denn hätten wir beide
nicht heiraten wollen, hätte ich deinem zähen |
|
Begehren nicht nachgegeben,
sondern getrotzt, hätte es freilich keinen Polterabend |
|
gegeben, und hätte es den
nicht gegeben, wäre dir gewisslich auch nicht dies bedauer- |
|
liche Unglück
zugestossen." |
|
"Ach, Sophie,
dieser Gedanke kann meine Schuld nicht mindern." |
|
"Manfred, still,
still, du mußt auch einmal an andere denken. Andere Menschen |
|
tragen eine viel schwerere
Schuld. Erinnerst du dich zum Beispiel an den schweren |
|
Unfall am beschrankten
Bahnübergang in Altenbach letzten Sommer?" |
|
"Natürlich, Sophie,
eine Reisebus fur vor einen Zug. 184 Menschen fanden dabei |
|
den Tod, 3 wurden
verletzt." |
|
"Richtig, so war
das, 184 Menschen! Nun, letzte Woche war endlich die Gerichts- |
|
verhandlung gegen den
diensthabenen Bahnwärter, der die Aufgabe hatte, die |
|
Schranken zeitig zu schließen,
damit Schienen- und Straßenverkehr einander |
|
nicht behelligen können. Und
nun, denk dir nur, wie rechtfertigt sich dieser |
|
verantwortliche Beamte? Was
antwortete er auf die Frage des Richters, warum |
|
denn bloß er die Schranken
nicht zur notwendigen Zeit gesenkt habe, ob er viel- |
|
leicht den Termin vergessen
hätte, an dem der Eilzug vorbeibrausen sollte oder ob |
|
plötzlich auftretende
Gesundheitsprobleme ihn gehindert hätten, den Knopf zu |
|
drücken, denn um einen
größeren Aufwand handelte es sich bei dieser Arbeit nicht? |
|
Neinnein, entgegnete dieser
pflichtvergessene Mensch, der Zeitpunkt sei ihm |
|
selbstverständlich sehr wohl
bekannt gewesen, gesundheitlich sei auch alles |
|
top bei ihm, allein er habe
nur momentan keine Lust gehabt, die Schranken runter |
|
zu lassen. Keine Lust,
Manfred, keine Lust.!" |
|
Dr. Lohner war
augenblicklich empört. "Nein! So eine Lumperei! Keine Lust! |
|
So ein Lump!" |
|
"Ja, Manfred, keine
Lust habe er gehabt. Kein Bock, wie er sich ausdrückte. |
|
Dies ewige Schranken-runter,
Schranken-rauf sei sowieso viel zu stupide für einen |
|
Mann mit seinen Fähigkeiten
und Neigungen. Zudem sei immer dann, wenn er |
|
die Schranken runtergelassen
hatte in der Vergangenheit sowieso nichts passiert. |
|
Nur ausgerechnet dies eine
Mal, wo er sich die lästige Mühe erspart habe, sei |
|
dieser Reisebus mit Rentnern,
überladen und mit viel zu hohem Tempo..." |
|
"So eine
Lumperei!! So ein Lump!" wütete Dr. Lohner. "Wenn mir der Kerl
unters |
|
Messer käme, ich weiß nicht,
was ich tun würde." |
|
"Wie
gesagt, ausgerechnet da sei dieser Bus gekommen. Das sei eben Pech
gewesen, |
und für Pech, ja höhere
Gewalt, könne er ebenso wenig wie die Bahn auch die |
|
Verantwortung übernehmen.
Überhaupt sollten Rentner besser zu Hause ihre |
|
dicke Rente verzehren, statt
in der Gegend rumzukutschen und anderen Bürgern |
|
Arbeit zu
machen." |
|
"Pech? Höhere
Gewalt? Lumperei! Lumperei!" Dr. Lohner erdrosselte den
Bahn- |
|
wärter, der aber das Glück
hatte unsichtbar bzw. nicht anwesend zu sein. |
|
"Siehst du,
Manfred", sagte Sophie mit sanfter Stimme und zufrieden, daß
diese |
|
Geschichte ihren Zweck erfüllt
hatte, "deshalb darfst du nicht verzagen Dir ist |
|
ja ein wirkliches Unglück
widerfahren." |
|
"Donnerwetter, du
hast recht, Sophie, was ist denn schon auch meine kleine |
|
Fahrläßigkeit gegen solch eine
Verantwortungslosigkeit? |
|
"Nichts, Manfred,
nichts! Aber sag nun, wer erpreßt dich?" |
|
"Immer noch
der Erpresser, Sophie." |
|
"Ich meine, hegst
du einen Verdacht? Wenn ja, gegen wen richtet er
sich?" |
|
"Es sind nur
Mutmaßungen, an die ich dich teilhaben lassen kann, Sophie.
Kon- 24.3. |
|
kretes weiß ich nicht. Aber
ich glaube, daß eine der Schwestern, die bei der Opera- |
|
tion einfachste Handreichungen
geleistet hat, jemanden von meinem Malheur erzählt |
|
hat, und der nutzt nun dieses
Wissen gegen mich." Dr. Lohner würgte nun diese |
|
Schwester, die aber
glücklicherweise auch unsichtbar war. |
|
"Konntest du denn
die Schwestern nicht zum Stillschweigen verpflichten? Dir
sind |
|
doch Möglichkeiten gegeben,
Manfred." |
|
"Gewiß, ich habe
alle Anwesenden eindringlich ermahnt und bedroht, über das |
|
Vorgefallene bis ins Grab zu
schweigen. Mit meinem Messer habe ich beispielhaft |
|
demonstriet, was andernfalls
passieren würde. Als Anerkennung für die an sich selbst- |
|
verständliche Verschwiegenheit
lud ich außerdem alle Schwestern nach der Operation |
|
alle zu einem feudalen
Abendessen beim Ochsenwirt, wo Haxen und Schnäuzchen |
|
bis zum Abwinken serviert
wurden." |
|
"Und dennoch hat
eine falsche Schlange geredet?" |
|
"Ja, liebste
Sophie," entgegnete Dr. Lohner bitter, " so muß ich wohl
annehmen. |
|
Obwohl ich außerdem noch eine
Flasche Champagner für alle geordert habe. |
|
Aber der Mensch, Sophie, er
ist nun mal schlecht! Schlecht! Schlecht! Eine der |
|
Schwestern hat meinen teuren
Champagner geschlürft und dann trotzdem später |
|
alles ausgeplaudert. Und mir
bleibt nun der ganze Schlamassel!" |
|
"So ein verruchtes
Geschöpf," Sophie war erschüttert. "Ich schäme mich so, daß |
|
ich so eine verdorbene
Geschlechtsgenossin haben muß." |
|
Dr. Lohner legte einen
Arm um ihre Schulter. "Nein, Sophie," flüsterte er ihr auf- |
|
munternd zu, "du mußt
dich doch nicht schämen, nur weil du auch eine Frau bist. |
|
Denn es gibt ja auch schlechte
Männer. Denk doch nur an den gewissenlosen |
|
Schrankenwärter von Altenbach,
dieser Lump!" |
|
"Ja, lieber
Manfred, unrecht hast du sicher nicht. Aber ein schlechtes Weib ist |
|
dennoch um vieles garstiger
als ein schlechter Mann, hat sie doch ein Geschlecht, |
|
das sanfter und gefühlvoller
und opferbereiter und selbstloser und vertrauens- |
|
würdiger und unabschaumhafter
und..." |
|
"Jajaja,"
unterbrach sie Dr. Lohner ungeduldig, "aber schlecht ist nun mal
schlecht! |
|
Jedenfalls rief mich letzte
Woche ein geheimnisvoller Unbekannter an und verlangte |
|
fernmündlich Geld von mir.
Sollte ich nicht willlens sein zu zahlen, würde er nicht |
|
zögern, und mein Mißgeschick
an die große Glocke hängen." |
|
"Ja, höre ich
richtig? Geld verlangt der Erpresser auch noch von dir?" Die
plötzliche |
|
Erkenntnis ließ Sophie
erbeben. |
|
"Eine Million, ja
du hörst richtig, eine Million fordert der Lump! Und die bis |
|
Morgen!" |
|
"Was? Soviel Geld?
Dafür mußt du ja fast ein Jahr arbeiten, Manfred!!" |
|
"Länger noch,
liebste Sophie, ein Jahr und drei Wochen, falls mein Verdienst auf |
|
dem gegenwärtigen Niveau
bleibt." |
|
"Ein Jahr und drei
Wochen Sklavenarbeit leisten für einen gemeinen Verbrecher?" |
|
bollerte es aus Sophie heraus.
"Niemals, Manfred, niemals! Besser tot! Besser sich |
|
tief und fest den Dolch ins
Herz stoßen!!" |
|
"Du übertreibst,
Sophie, aber was bleibt mir denn anderes übrig, als zu zahlen?" |
|
"Nicht zahlen
natürlich!" brüllte Sophie. |
|
"Aber, Sophie, dann
bin ich ruiniert. Die Ärztekammer wird sich von mir abwenden, |
|
die Krankenkasse wird mich
mißtrauisch mustern, Patienten werden sich mir und |
|
meinen Fähigkeiten nicht mehr
ausliefern wollen, Krankenschwestern werden |
|
meine Anweisungen nicht länger
befolgen, Kinder und Studenten werden mich |
|
hänseln und greteln, kurz:
meine Reputation, meine mühsamst aufgebaute Fassade, |
|
wäre zerstört, vollends dahin,
und ich könnte meinen Beruf, der mir ja auch Berufung |
|
ist, nicht länger ausüben.
Armselig und einsam müßte ich zukünftig das Pflaster |
|
treten! Denn schau auf meine
Hände, Sophie!" Dr. Lohner hielt ihr seine groben, |
|
behaarten Pratzen vor Augen.
"Was können denn diese Hände, die Gott mir gab, |
|
anderes als menschlichen
Hirnen so unendlich viel Gutes angedeihen lassen? |
|
Nichts! Absolut nichts! Sie
wurden mir allein zu demm Zwecke geschenkt, daß ich |
|
mit ihnen flink und geschickt
Patientenschädel aufmeißele." |
|
Sophie hielt es nun
nicht länger. Tränen spritzten aus ihren Augenwinkeln. |
|
"Manfred!" greinte
sie, "Aber soviel Geld? Was könnte ich mir..ich meine natürlich, |
|
was können wir uns nicht alles
dafür kaufen?" |
|
"Bitte weine nicht,
Liebste" tröstete sie der Hirnchirurg, "Ich habe doch gar nicht |
|
soviel Geld, um das Geforderte
zahlen zu können." |
|
"Was? Wie bitte?
Was sagst du da?". Sophie wankte wie die angeschlagene Sylvia |
|
Hanisch, oder wie die heißt,
taumelte einige Schritte zurück und presste eine Hand |
|
vor den Mund, den der
plötzliche Schrecken so weit geöffnet hatte. |
|
"Ich habe soviel
Geld, aber nicht verfügbar," suchte Dr. Lohner ihren namenlosen |
|
Furor zu dämpfen. "Auch
ich kann eine Million nicht so ohne weiteres..." |
|
"Kein Geld, was?
Unterbrach ihn Sophie und wimmerte, "aber was, so frage ich dich, |
|
was hast du nur mit deinem
vielen Geld gemacht? Manfred! Du bist alt und grau! |
|
Wo hast du die zweifellos
immensen Einkünfte deines langen Berufslebens ver- |
|
schleudert?" |
|
"Entschuldige,
Liebste, ich habe..." |
|
"Liebste?
Liebste?" rief Sophie drohend und speichelnd. |
|
"So beruhige dich
doch, Sophie! Ich besitze natürlich viele Millionen, darauf kannst |
|
du getrost einen lassen!
Allerdings ist der allergrößten Teil in Immobilen, Kommunal- |
|
obligationen, Pfandbriefen -
und flaschen, Gold und Geschmeis usw. angelegt, die |
|
ich nicht ohne veräußern kann,
will ich nicht einen Verlust hinnehmen. Deshalb |
|
fragte ich deinen Vater, ob er
mir nicht kurzfristig einen Bruchteil der geforderten |
|
Summe leihen könne." |
|
"Wie? So soll etwa
mein Vater deinen Erpresser finanzieren?" |
|
"Genau das sagte
dein Vater auch. Aber du mußt mich verstehen Sophie. Dein |
|
Vater hat doch sein ganzes
Vermögen in bar überall versteckt und vergraben, da er |
|
wie alle sparsamen Charaktere
Banken und Sparkassen mißtraut. Ich dagegen kann |
|
bis Morgen nicht soviel Geld
auftreiben ohne dabei noch mächtig draufzuzahlen. |
|
Außerdem leihe ich mir doch
nur die Summe. Schon in drei Tagen wird dein Vater |
|
alles auf Heller und Batzen
alles zurückbekommen." |
|
"Ach, so ist
das!" Sophie begriff, der Groschen war gefallen. "Dann bin ich
schon |
|
beruhigt. Zu welchem Zinssatz
denn?" |
|
"Nun, genau darüber
konnten wir uns heute Abend noch nicht einigen. Dein Vater |
|
verlangt horrible 20 Prozent
für die drei Tage, ich hingegen möchte aber nur ange- |
|
messene 0,5 Prozent
geben." |
|
"Ein halbes
Prozent? Das ist ja nun nicht viel, Manfred, gerade mal die Hälfte von |
|
einem Prozent, was ja auch nur
eins von hundert bedeutet. Inwieweit würdest du ihm |
|
denn noch entgegenkommen
wollen?" fragte Sophie geschäftsmäßig und ganz |
|
Business-Powerfrau, die
problemlos Karriere, Frausein, Mutterpflichten und pipapo |
|
bewältigen kann. |
|
"Tja, es bleibt
doch unter uns oder?" antwortete Dr. Lohner schwer beeindruckt |
|
von Sophies neuen Tonfall,
"bis 2 Prozent würde ich schon gehen." |
|
"Auch
zweieinhalb?" |
|
"Im äußersten
Notfall, ja, auch das." |
|
"Brutto?
Netto?" |
|
"Netto,
selbstverständlich!" sagte Dr. Lohner mit aller Entschiedenheit und
daraufhin |
|
sank Sophie überglücklich in
seine Arme und herzte ihn. "Ach, Mampfred," säuselte |
|
ich liebe dich ja so heftig,
du guter Mann, du!" |
|
"Ich liebe dich
auch", balzte Dr. Lohner zurück und drückte sie fester an sich, |
|
"und verzehre mich vor
Sehnsucht nach dir." |
|
|
|
4. |
|
Weiter, immer nur weiter und
weiter, jeder einzelne Schritt bringt mich meinem |
|
einzigen Glück hie auf Erden
ein Stückchen näher, dachte der junge Mann unentwegt |
|
und drückte mit beiden Händen
Zweige und Äste beiseite, die ihn am Fortkommen |
|
hindern wollten. |
|
Schwer ging sein flacher
Atem. Obwohl von kräftiger Statur, ein gutgewachsener |
|
Bursche, der manchem Sport
gefrönt und an mancher Theke geglänzt hatte, hatten |
|
ihn doch die letzten Monate,
die er in unfreiwilliger Isolation und ohne ausreichende |
|
Körperertüchtigung verbringen
mußte, körperlich geschwächt. Nun spürte er die |
|
Erschöpfung in allen Gliedern. |
|
Endlich erreichte er
eine Lichtung. Gern wäre er wie ein junger Hirsch über sie |
|
hinweg gesprungen, allein, die
titanischen Anstrengungen des Tages forderten |
|
ihren Tribut, und er konnte
nur mühsam Schritt auf Schritt setzen. |
|
Plötzlich trat er auf
etwas Hartes, das unter seinem festen Schuhwerk ein wenig |
|
nachgab. Im selben Augenblick
erscholl ein ein markerschütternder Schrei im |
|
dunklen Forst, der Fuchs und
Igel schreckte. |
|
Unwillkürlich richtete
der junge Mann die Taschenlampe zu Boden. In ihrem |
|
schwachen Licht erkannte er,
daß sein rechter Stiefel auf dem Geschlechtsteil |
|
eines fremden Mannes stand,
der neben einem halbnackten Mädchen auf einer Decke |
|
lag. |
|
"Oh, pardon, mein
Herr", entschuldigte er sich schnell und aufrichtig und beeilte |
|
sich weiter zu kommen. Hinter
sich hörte er noch lange Zeit das Wehklagen des armen |
|
Mannes und die unanständigen
Verwünschungen, die das Mädchen ihm hinterher |
|
schickte. |
|
So ein Glück, daß es
dunkel war, bei Tageslicht wäre es wohl noch peinlicher |
|
gewesen, dachte der junge Mann
in seiner verschmutzten Anstaltskleidung und mit |
|
neuen frischen Kräften tauchte
er wieder im Wald unter, den er noch durchqueren |
|
mußte, um ans Ziel zu kommen. |
|
|
|
Sophie von
Schwanewalde war mit ihren süßen 19 Jahren schon zu Bett, konnte |
|
aber keinen rechten Schlaf
finden. Widerstrebende Gedanken flatterten zwischen |
|
ihren Ohren wie zankende
schlaue Hamster, die der Bussard gegriffen hat. Jeden- |
|
falls so ähnlich. |
|
Was sollte sie nur von
Manfred und seinen Enthüllungen halten? Ihr Verstand war |
|
schon lange beleidigt, und
jetzt nörgelte auch ihr Gefühl unablässig, daß an seiner |
|
Geschichte, am Schinderkarren
seiner Worte, an der Vespa seiner Versicherungen, |
|
so manches Rad knatterte, ja
schwer schlingerte. Nur was bzw. welches? |
|
War -eventuell- ihr
Manfred vielleicht gar nicht der von Gott begnadete, durchaus |
|
fähige Hirnchirurg? Vielleicht
nur ein schändlicher Scharlatan gar? Ein unfähiger |
|
unwürdiger Jünger des
Äskulappens, zu ungeschickt um die einfachsten Hobeleien |
|
am Schädel anderer Leute zu
verrichten? |
|
Und - um so viel wichtiger
noch - warum besaß er die Million nicht? War er gar nicht |
|
so unermeßlich reich, wie er
des Protzens voll stets behauptet hatte? Ein Hochstapler |
|
etwa? Einer der es in
Wahrheit nur auf ihre schmale Mitgift abgesehen hatte? |
|
Na, dann, Pustekuchen.
Das stand schon mal fest. |
|
Und sein Mundgeruch?
Wenn er um seine Penetranz wußte, erahnen mußte er sie |
|
doch, wie sonst mußte er die
Gesichtsausdrücke interpretieren, die ihn allzu oft |
|
entgegen ekelten, warum
bemühte er sich nicht redlicher um reinen Atem? |
|
Ist doch wahr! |
|
War das der gute
Manfred, den sie zu lieben trachtete? |
|
Oder war er nicht eher
der fremde Mann, der fiese Kerl, von dem sie wenig, gar |
|
zu wenig vielleicht, wußte und
dem sie sich dennoch morgen schon mit Leib und |
|
bescheidener Aussteuer
ausliefern sollte? Ein lasterhafter, verdorbener Charakter, |
|
dem es höchsten Genuß und
wahrste Befriedung allein bedeutet, wertvolle, alte, |
|
chinesische Vasen, Kleinode
fürwahr, zu zertrümmern? |
|
Oh, ich skeptische, ich
tue ihm nicht recht, eher unrecht, dachte sie manches Mal, |
|
wenn sie diese bösen Fragen
bedrängten. Aber der Wurm des Zweifels nagte |
|
unbarmherzig weiter an ihrer
pickeligen Seele und sein Knabbern und Schmatzen |
|
ließ sie keinen Schlummer
finden. Sie wälzte sich hin, sie wälzte sich her, doch |
|
den quengeligen Nager konnte
sie nicht niederwälzen. |
|
Ach Achimili, dachte sie
endlich, bevor sie dann doch in Morpheus' Arme sank, |
|
hätte das ungute Schicksal uns
doch bloß nicht so derbe mitgespielt. Alles wäre |
|
gut. Alles. |
|
|
|
Längst hätte der Regen
nachgelassen, und die Luft war nun von jeder Schwüle |
|
gereinigt. Die aufkommende
Kälte der Nacht ließ den Mann, der hinter dem Garten- |
|
häuschen lauerte und
aufmerksam die vom schwachen Mondlicht beschienene |
|
Zufahrt zum Anwesen der
Schwanewaldes beobachtete, ein wenig frösteln. Gern |
|
hätte er sich im Refugium des
Gärtners untergestellt, um die Glieder ein wenig zu |
|
wärmen, aber er durfte es
nicht wagen, denn vom Inneren des Häuschens war die |
|
Zufahrt nur unvollkommen
überschaubar. Und er mußte wachsam sein. Denn sollte |
|
ihm, den er erwarten durfte,
durch die Fänge schlüpfen sollte, war das ganze Spiel |
|
wohl schon verloren, alle
hochfliegende Pläne, alle süßen Hoffnungen damit wahr- |
|
scheinlich nichtig. |
|
Ein wenig beruhigt hatte
ihn allerdings der Anruf vorhin. Sein Gegenspieler wußte |
|
offenbar die wichtige
Neuigkeit des Tages noch nicht, was zweifellos nur von Vor- |
|
teil sein konnte. Dennoch
lagen die Nerven blank. Nervös nestelte er schon wieder |
|
eine Zigarette hervor. |
|
Groll über den
unvorhersehbaren Gang der Ereignisse überkam ihn einmal mehr. |
|
Gott, dachte er, warum muß
immer alles so kompliziert sein? Bis ins Detail war doch |
|
alles hundertfach durchdacht
und geplant, alles hätte reibungslos vonstatten gehen |
|
können und nun brachte eine
Nachlässigkeit des Anstaltspersonals das präzise |
|
ausgetüftelte Gedankengebäude
ins Wanken. Es mußte doch möglich sein, einen |
|
Wahnsinnigen die Flucht
unmöglich zu machen! Das konnte doch nicht schwer |
|
sein. Gewöhnlich widerstrebte
es ihm zu fluchen, allein in den kalten, einsamen |
|
Momenten hinterm
Gartenhäuschen, Stunden voller Unsicherheit und Bangen, |
|
sprudelten nur allzu oft Worte
aus ihm hervor, von denen er gar nicht wußte, daß |
|
er sie überhaupt kannte. |
|
"Arsch", sagte
der dicke Mann beispielsweise oder "Verflixt!" oder auch
"Schweine- |
|
buckel!" und fühlte
gleich die warme, trostbringende Kraft, die ihm dieser Exzess |
|
spendete, während er sich
gleichzeitig aber auch dafür insgeheim schämte. ER wird |
|
mir verzeihen, wenn ER erst
mal weiß, so wetterleuchtete es durch sein faltiges |
|
Hirn, |
|
Schon wieder griff er
zur Zigarette, steckte sie sich ins Maul und schaute zum xten |
|
Male auf seine Armbanduhr. Es
war bereits nach drei. Würde der, auf den er wartete, |
|
überhaupt kommen? Er mußte
doch, wenn er die Hochzeit noch verhindern wollte. |
|
Er mußte, also würde er auch
kommen. |
|
Als der Mann die
Zigarette im Dunkeln anzünden wollte, verwechselte er sie mit |
|
seinem Zeigefinger. Der
brennende Schmerz ließ ihn seinen Irrtum schnell erkennen. |
|
Huahuahuuu, jammerte er.
"Schweinebuckel!" fluchte er dann leise und trat die |
|
Zigarette, die auf seinen
linken Fuß gefallen war, mit dem rechten und mit aller |
|
Wucht aus. Dabei hatte sie gar
nicht gebrannt. |
|
Huahuahhhuuuu. |
|
|
|
Fiebrige Träume belästigten
Sophie und störten die Nachruhe erheblich. Immer |
|
wieder variierten sie dasselbe
Motiv: Die beiden Männer, denen Sophie in ihrem |
|
jungen Leben bisher ihr Herz
geliehen hatte, erschienen in und kämpften |
|
mit den seltsamsten Waffen und
Gerätschaften um ihre Angebetete. Und immer |
|
obsiegte der alte Dr. Lohner
über den jungen Achim von Plötz. |
|
Sophies Sympathie lag
allerdings stets auf seiten des Unterlegenen. Denn der ältliche |
|
Mediziner griff leider
oft zu erbärmlichen hinterlistigen Tricks, die jenseits des |
|
moralisch vertretbaren
beheimatet waren, um den wacker und fair streitenden |
|
jungen Baron zu bezwingen. |
|
Einmal fochten die
beiden mit benutzten Zahnstochern, ein anderes Mal mit Klößchen- |
|
hebern. Der Kampf kannte weder
Gnade noch Erbarmen. Unwirsch drosch Dr. |
|
Lohner auf seinen Gegner ein,
doch Achim parierte geschickt jeden Hieb. Seine |
|
überlegene Technik schien ihm
letztlich den Sieg zu sichern. Trotz seiner gewaltigen |
|
Schläge, die allzu meist die
Luft peitschten, geriet der Doktor immer nehr in die |
|
Defensive, schwächer und
kraftloser wurde seine Verteidigung, endlich mochte er |
|
den todbringen
Klößchenheberschlag jeden Moment erwarten und mobilisierte |
|
die letzten Kraftreserven, die
jedoch kaum noch die Wende bringen können würden. |
|
Schon glimmte wilde
Siegeszuversicht in Achim von Plötzens Augen, da erstarrte |
|
der hinterhältige Doktor, als
nähme er Unbeschreibliches wahr, rief "Sophie, um |
|
Himmelswillen, nein!" und
fuchtelte Entsetzen heuchelnd mit den Armen. Und als |
|
sich - wie's dem teuflischen
Plan gemäß - der Jungbaron umdrehte in Sorge seiner |
|
Geliebten könne Leid
widerfahren sein, nutze Dr. Lohner diesen kleinen Moment |
|
der Schwäche und rammte ihm
einen dreckigen langen Zahnstocker ins Herz. |
|
Tödlich getroffen, mit
waidwundem Röcheln klappte Winnetou - pardon Achim - |
|
in sich zusammen. Seine
brechenden Augen suchten Sophie, blieben sehnsuchts- |
|
voll auf ihrem Gesicht haften
und schienen ihren Namen zu schreien. Als Sophie |
|
dem Todwunden zu Hilfe sprang,
seine schlappe Hand nahm und an ihr Herzlein |
|
drückte, stieß der gnadenlose
Doktor im Blutrausch im noch wie ein vandalierender |
|
Berserker weiter und weiter
auf den längsten besiegten Rivalen ein. |
|
"Hör doch mal
auf", versuchte Sophie ihn zu bremsen, "du, Unerbittlicher! Die |
|
Hand des Todes hat ihn doch
schon ergriffen.!" |
|
"Nein, nein",
brüllte Dr. Lohner, Schaum stand auf seinen Lippen und der Sabber |
|
floß heiß, "als berühmter
Hirnchirurg weiß ich doch, wann einer hinüber ist. Und |
|
der Lump hier ist noch lange
nicht hin, den könnte ich noch wieder zusammen |
|
flicken. Drum nimm den, du
Lump, und den!" |
|
Unverdrossen bearbeitete
er den Sterbenden mit dem Zahnstocher, und als der |
|
endlich brach, briet er ihm
heftig mit dem Klößchenheber welche über. Aus dem |
|
wohlgewachsenen Körper des
jungen Adeligen rann der blaue Lebenssaft in |
|
Strömen. |
|
Tja. |
|
|
|
Der junge Mann atmete einige
Mal ganz tief ein und aus. Endlich hatte er sein Ziel |
|
erreicht, aber vom
eigentlichen war er immer noch weit entfernt. Das verkommene |
|
Anwesen der gräflichen Famile
von Schwanewalde lag von milden jungen Sonnen- |
|
strahlen des Morgengrauens
umkränzt vor ihm. Jetzt mußte es aber weiter gehen. |
|
Er setzte sich umständlich auf
eine Coladose, die am Wegesrand vor sich hin rostete, |
|
um neue Kraft zu schöpfen und
in Ruhe das weitere Vorgehen zu bedenken. |
|
Was war nun zu tun,
jetzt wo er am Ort seiner Träume angelangt war? Einfach |
|
läuten? Ach was! Der alte Graf
würde zweifelsohne herbeigeholt werden, und |
|
dessen unvernünftige Hass auf
alle Plötzens würde einer sachlichen Aufklärung |
|
sperrigst im Wege stehen.
Sicherlich war auch schon der skrupelfreie Doktor im |
|
Hause, der ihn sofort wieder
für unzurechnungsfähig erklären und schnurrstracks |
|
mit Tatü-ta-ta oder
La-lü-la-la wieder in die Anstalt schaffen lassen würde. |
|
Nein, die Chance auf
diesem Weg erfolgreich zu sein, war gar zu winzig. Selbst |
|
wenn Sophie dazu geholt werden
würde, was ja schon unwahrscheinlich genug war, |
|
wäre es kaum
erfolgversprechend in Anwesenheit des Grafen, oder gar des Doktors, |
|
mit ihr zu sprechen. Natürlich
würde sie denen, ja müßte sie denen mehr glauben |
|
als seinen Ausführungen, der
Wahrheit eines Irren, der er ja nach ihrem Kenntnisstand |
|
sein mußte. Der Makel der
Unzurechnungsfähig haftet nun mal fest. |
|
Er mußte also Sophie
allein treffen. Unter vier Augen würde er ihr in Ruhe erklären |
|
können, was ihm
Ungeheuerliches widerfahren war. Sie würde er überzeugen können. |
|
Sie würde ihn verstehen. |
|
Er wußte, wo ihr
Schlafzimmer war. Er erinnerte sich des Rebstocks, der unter |
|
ihrem Fenster wuchs. An seinen
Ranken müßte er hochklettern können, auf diese |
|
Weise müßte er in ihr Zimmer
gelangen können. Na, das würde vielleicht ein |
|
Getöse geben. |
|
Beflügelt von diesem
erfolgversprechenden Gedanken faßte er frischen Mut und |
|
eilte alsdann die Zufahrt zum
Anwesen hinan. Schnell hatte er das verrostete alte |
|
schmiedeeiserne Tor überwunden
und schlich am Gartenhäuschen vorbei. Dort |
|
kniete er nieder, um nach
Indianerart mit einer Hand über den Brauen die Augen vor |
|
störenden Sonnenstrahlen
schützend das Gelände zu sondieren. |
|
Soweit er es überblicken
konnte, befand sich niemand in der Umgebung des Hauses. |
|
Auch brannte kein Licht, alles
war ruhig, jeder schien noch zu schlafen. Auf Zehen- |
|
spitzen ging er in Richtung
von Sophies Schlafzimmer. Plötzlich hörte er ein |
|
verdächtiges Geräusch. Ein
Knistern, Knattern, Knoppen. |
|
Instinktiv spürte er die
Gefahr. Er drehte sich abrupt um, und auf einmal blitzen |
|
viele bunte Smarties vor
seinen Augen auf, und dann brach schwarze kalte Nacht |
|
über ihm zusammen. |
|
|
|
5. |
|
Ein prachtvoller Morgen
kündigte sich an. Die Sonne strahlte über alle Backen, eine |
|
milde warme Brise schaukelte
die hohen Pappeln im Garten, wo farbenfrohe |
|
Schmetterlinge ihr lustig Lied
über Würmer und sowas sangen und kreischende Vögel, |
|
ein jeder nach seiner Art,
über den Rasen kapriolten, um so Gott für seine wunderbare |
|
Schöpfung Dank, Dank und
abermals Dank zu sagen. Selbst der sonst ständig |
|
düster blickende greise Uhu
hoch oben in seiner morschen Krüppeleiche konnte |
|
sich an diesem herrlichen
Morgen das ein oder andere Grinsen nicht versagen |
|
und ließ ein halbverdautes
Mauseschwänzchen lässig im Schnabeleck rotieren. |
|
Fies. |
|
Sophie von Schwanewalde
weckte ein dicker Sonnenstrahl, der langsam ihre |
|
Sommersprossen hochkletterte.
Sie gähnte von Herzen, vergaß, was sie träumte, und |
|
setzte sich - wie's ihrer
Gewohnheit entsprach - auf ihr Kopfkissen. Mit dem Rücken |
|
lehnte sie an der Wand und
rieb sich sorgfältig die sandgefüllten Augen. Alsdann |
|
befreite sie ihr hübsches
Näschen gewissenhaft vom zähen Popel, der sich dort |
|
über Nacht am oft schwer
zugänglichen Ort gesammelt hatte, und sprang nach |
|
getanem Werk munter aus ihrem
Bett, bereit den Tag beim Horn zu packen. |
|
Als Frühsport machte sie
ihre gewohnten Aerobic-Übungen. Da diese zeitge- |
|
nössische Leibesübung ohne
feurige Musik kaum rechte Freude bereiten kann, |
|
schaltete sie ihren alten
CD-Player an. Zu den brausenden Klängen des Wagnerischen |
|
Walkürenritts bewegte sie
ihren Körper nebst Gliedmaßen auf das rhythmischste, |
|
und stets hielten ihre
wippenden Brüste den Takt der wogenden Weise. |
|
Sophies Gerät war eins dieser
neumodischen Zauberkästen. Durch simples Drücken |
|
eines Knopfes wurde
automatisch auf Radioempfang umgeschaltet und durch simples |
|
Drehen eines Knopfes konnte
man einem bunten Programm, veranstaltet von |
|
öffentlich und
privatwirtschaftlich organisierten Sendern, lauschen, die ausnahmslos |
|
mit hemmungsloser Seierei,
ödem Gesülze und adäquater Musik den Hörer zu |
|
begeistern trachteten. Dafür
nahm man gern Gebühren. |
|
Es klopfte, und auf
Sophies lustiges "Herein, wenn's kein Schneider ist",
betrat |
|
ihre Mutter, Gräfin Emilie
Anne von Schwanewalde, geborene von Wichmann zu |
|
Hohenzoten und Schwalz,
den Raum. "Guten Morgen, liebes Kind", sagte sie und
|
|
dachte sich wie immer nichts
dabei. |
|
"Guten
Morgen, Mamatschi", keuchte Sophie und beendete die
Körperertüchtigung. 29.3. |
Die Gräfin lief sofort zur
Lärmquelle und riß den Stecker aus der Buchse. "Ischa |
|
furchtbar, diese moderne
Musik!" schimpfte sie. |
|
"Mutter! Ich bitte
dich!" protestierte Sophie. "Das ist doch
Wagner." |
|
"Wie?" Die
Gräfin war erstaunt. "Richard Wagner? Der Schöpfer so
herrlicher |
|
Weisen? Ei, warum sagst du das
nicht gleich? Das ist natürlich ganz was anderes." |
|
Sie steckte den Anschluß
wieder rein und drehte den Lautstärkeregler bis zum |
|
Anschlag. |
|
"Du darfst die
Musik gern wieder ausmachen", schrie Sophie gegen die
lärmenden 2.4. |
|
Walküren an. "Ich habe
meine Morgengymnastik bereits hinter mich gebracht." |
|
Die Gräfen indes wog
ihren massigen Körper weiter selbstvergessen im Takt. |
|
"Himmlisch",
röchelte sie entrückt, "einfach himm-lisch!" |
|
Sophie wußte, jedes
weitere Wort war sinnlos, in ihrem transzendentalen Zustand |
|
konnte die Mutter sie nicht
hören. Sie ging also zur Quelle des Lärms und brachte |
|
sie im Handumdrehen zum
versiegen. Trotzdem lief natürlich ihre Gebührenpflicht |
|
weiter. |
|
Die Gräfin wackelte noch
eine Weile im Takt der unhörbaren Musik vor sich hin, |
|
ehe sie gewahr wurde, daß der
Brunnen der Verzückung plötzlich ausgetrocknet war. |
|
"Kind!", erhob sie
mahnend die Stime, "Du lehnst Wagner ab? Wie kannst du nur? |
|
Schön, jung, gebildet und
schön wie du bist!" |
|
"Aber Mutter, du
weißt doch haargenau, daß ich den Wagner ehre wie Vater und |
|
dich, aber heute ist doch der
große Tag meiner Mählung, pardon Vermählung |
|
und da sind a priori
apropos..." |
|
"Kind!",
unterbrach die Gräfin sie, "gut, daß du mich daran erinnerst." Sie
nahm |
|
Sophie an der Hand und führte
sie zum Bett. "Hopphopp, liebes Kind, nimm bitte |
|
Platz an meiner Seite. Sophie,
ich muß dir nämlich etwas erklären. Ich hätte es |
|
längst tun sollen, glaubte
aber im stillen, daß es mir schon irgendwie erspart bleiben |
|
würde. Naja. Kind, es gibt
wichtige Dinge, die eine junge Braut über Hochzeit und |
|
Ehestand wissen muß." |
|
Sophie tat wie die
Mutter ihr gehießen und erwartete gespannt, welche Worte nun |
|
aus dem Muttermund quellen
würden. |
|
"Sophie, liebste
Tochter", sagte die Gräfin ernst, nachdem sie geraume Zeit verlegen |
|
gehüstelt und Sophies Hand
geknetet hatte. "In wenigen Stunden schon wirst du |
|
die Frau eines dicken Mannes
sein, und deshalb ist es unumgänglich, ja du mußt |
|
etwas überaus Essentielles
über die durchaus delikaten Beziehungen zwischen |
|
Mann und Frau erfahren." |
|
"Zwischen Mann und
Frau erfahren", echote Sophie sinnlos. |
|
"ja, richtig, das
sollst du nun! Allein, wie fang ich's an, wie soll ich's nur sagen? |
|
Es ist so heikel. Also hör nun
bitte." Die Gräfin riß sich am Riemen. "Ich möchte dich |
|
in die Mysterien der Liebe
einweihen, nein genauer: in die Mysterien der Triebe." |
|
"Mysterien der
Triebe?" fragte Sophie verwundert. "Just heute??" |
|
"Ja, gerade heute,
Sophie, die geheime Welt der Triebe mußt du kennen. Aber sie |
|
sind nur menschlich und ganz
natürlich. Das darfst du nicht vergessen, versprichst |
|
du mir das, Sophie?" |
|
"Ja, Mutter,
herzlich gern", entgegnete Sophie leichthin. |
|
"Es ist wichtig,
Kind! Drum höre jetzt aufmerksam zu, was ich dir sagen muß. |
|
Du weißt doch sicher, daß es
zwei Arten Menschen gibt, nicht wahr?" |
|
"Ja,
natürlich", nickte Sophie, "gute und schlechte!" |
|
"Ach, was, Sophie,
das meine ich doch jetzt nicht. Ich spiele eher darauf an,
3.4. |
|
daß es zwar Frauen und Mädchen
gibt, aber auch - bitte sei jetzt stark - aber |
|
auch Männer. Män-nerrrr,
Sophie!" |
|
"Ach, ja, richtig,
Muttsch, das weiß ich wohl freilich." |
|
"Sehrrr gut! Dann
weißt du auch vielleicht, daß du zu den Frauen gezählt
wirst, |
|
also zu der Art, die Kinder
empfängt und gebärt?" |
|
Sophie
nickte. |
|
"Also muß ich dir
nun sagen, daß auch der Ehemann beim Zeugungsakt seinen |
|
Beitrag spendet. Denn
wenn sich eine Ehefrau und ein Ehemann ganz ganz lieb
haben, |
|
so wie du und der dicke
Doktor, dann wird bald der Kinderwunsch so unwiderstehlich, |
|
und dann kommt es - Kind,
jetzt mußt du tapfer sein! - und keine Furcht nicht haben!- |
|
und deshalb..ich sag's
unumwunden...du weißt, um den heißen Brei zu reden, war |
|
meine Sache nie...ja, liebe
Sophie.. Deshalb verkehren sie miteinander!" |
|
"Watt, verkehren,
Mutter?" |
|
"Psssst", die
Gräfin hielt der Tochter schnell den Mund zu. "Nicht so laut, liebes |
|
Kind, wenn uns hier jemand
hört, sei's mein Gemahl, seien's die Brüder! Ja, Sophie, |
|
Mann und Frau verkehren
miteinander!" |
|
"Verkehren, Mutter?
Was ist denn daran verkehrt?" |
|
"Nichts, absolut
gar nichts, das will ich doch nur sagen. Jedenfalls weißt du jetzt |
|
die ganze brutale Wahrheit,
schließlich bist du alt genug, und wenn du nur ein |
|
wenig auf Draht gewesen wärst,
hätte ich mir dieses peinliche Gespräch ersparen können. |
|
Aber frage mich jetzt
bitte nicht, wie sich dieser Verkehr en detail gestaltet, die |
|
Antwort verbietet mir mein
Schamgefühl und meine Nerven als deine Mutter liegen |
|
eh schon blank genug,
das möchte ich dir an dieser Stelle auch mal sagen!" |
|
Sophie zog eine Schnute. |
|
"Dein lieber
Manfred wird es dir heute nacht Nacht wahrscheinlich en detail, das |
|
ist französisch und bedeutet
soviel wie en detail, schon demonstrieren. Eines muß ich |
|
dir als Mutter dazu noch mit
auf den Weg geben: Wenn du ängstlich sein solltest, |
|
fürchte dich nicht, sondern
halt nur hübsch still und denke dabei an unsern Herrn |
|
Jesus, der aus Liebe zu den
Männern noch ganz andere, viel größere Opfer gebracht |
|
hat! Zwölf Apostel, na, das
ist aber ein ganz anderes Kanaster oder?" |
|
"Mutsch, isch
fürschte mich so!" greinte Sophie falsch dahin. |
|
"Nein, das mußt du
doch nicht. Wenn du nur hübsch still hälst, wird alles nur halb
14.4. |
|
so schlimm werden. Und wenn du
dabei an den gütigen Jesus denkst." |
|
"Wenn du es sagst,
Mutter, so bin ich beruhigt.'s wird sicher nicht gar so
arg." |
|
"Des kannst du
gewiß sein, mein Kind. Denn eine Mutter, die ihre Tochter
so |
|
liebt wie ich dich, würde ihr
niemals die Unwahrheit diesbezüglich sagen." |
|
"Danke, Mamatschi,
für deine offenen Worte. Ich verspreche, daß ich deinen
guten |
|
Rat berherzigen
werde." |
|
Die Gräfin drückte
Sophie wieder fest das Händchen und stand dann auf, denn
ihr |
|
Werk schien vollbracht, wieder
konnte sie eine Mutterpflicht abhaken. "Du bist eine |
|
gute Tochter, Sophie. Doch nun
kleide dich bitte an und frühstücke danach mit uns. |
|
Heute harrt ein
ereignisreicher Tag deiner und du mußt daher bei Kräften
sein." |
|
"Ich komme gleich,
Mutter. Nur eine Frage habe ich noch." |
|
"Nur frisch heraus
damit, mein Liebes!" |
|
"Manfred hat
manchmal einen lustigen Zweizeiler auf den Lippen, doch obwohl |
|
ich immer herzlich darüber
lache, will sich mir der Sinn nicht so recht erschließen. |
|
Jedenfalls hat er auch mit
Hochzeit etcetera zu tun, soviel schwant mir schon!" |
|
"Ei, sag ihn schon,
mein Kind!" |
|
"Manfred sagt
immer: Sei bloß nicht so zimperlich, ich greif zu und pimper dich!" |
|
Emilie von Schwanewalde
stand wie vom Schlag gerührt, hielt sich dann beide |
|
Ohren zu und verließ eiligst
das Zimmer. |
|
|
|
|
|
Der junge Mann öffnete die
Augen und wußte im ersten Moment nicht, wo er sich |
|
befand, geschweige denn, was
ihm zugestossen war. Nur allmählich fiel der Groschen |
|
und er konnte sich so manches
erklären. |
|
Jemand mußte ihn
niedergeschlagen haben! Für die Richtigkeit dieser Annahme |
|
sprach besonders sein
schmerzender Schädel. Den hätte er sich gern gerieben, was |
|
allerdings der Umstand
unmöglich mochte, daß seine Arme, wie er schnell bemerken |
|
mußte, auf dem Rücken
zusammengeschnürrt waren. Dazu hatte der geheimnisvolle |
|
Angreifer seinen Mund mit
einem Tuch verbunden. Wohl damit der muffige Winter- |
|
apfel nicht herausfallen oder
gespuckt werden konnte. |
|
Spontane erste
Anstrengungen, sich von Fessel und Knebel zu befreien, blieben |
|
ohne Ergebnis. Zu fest hatte
der Unbekannte ihn verknotet. Der Apfel im Mund |
|
ließ jeden Versuch der
Artikulation fruchtlos sein, denn seine Zunge hatte keinen |
|
Millimeter Spielraum. Und wie
raumgreifend war sie doch gewöhnlich zugange. |
|
Auf der Suche nach
eventuellen Hilfsmitteln musterte der junge Mann Raum und |
|
Umgebung, in der er gefangen
gehalten wurde. Offenbar befand er sich in einem |
|
Gartenhäuschen. Die
Arbeitsgeräte, die er erkennen konnte, machten diese Vermutung |
|
plausibel. Rechen und Harken
standen rum und hingen an den Wänden, verschiedene |
|
Hacken standen in einer Ecke,
eine Schiebkarre mit Dung stand herum und daneben |
|
lümmelte sich ein unmoderner
Rasenmäher (Benziner!). |
|
Der Rasenmäher brachte
ihn auf eine Idee.Wenn ich doch nur den Kasten anwerfen |
|
könnte, dachte er, in seinem
Schlepptau könnte ich die Wand durchbrechen und |
|
ins Freie gelangen. Als er
versuchte sich von der Gartenbank zu wälzen, auf der er |
|
lag, um sein unsinniges
Vorhaben beherzt anzugehen, mußte er aber bemerken, |
|
daß er sich gar nicht bewegen
konnte. Sein ganzer Körper war an die Bank gebunden |
|
worden. Merde! Was für eine
unerfreuliche Feststellung! |
|
Obwohl die
Unmöglichkeit jetzt unübersehbar war, hing der junge Mann dennoch |
|
noch geraume Zeit diesen
Gedanken nach. Danach schmiedete er andere unsinnige |
|
Fluchtpläne, allesamt
auf ähnlich absurder Linie. Zaubersprüche und so'n Kram,
19.4. |
|
Homoöpatie sogar, oder wie der
teure Placebo heute heißt. |
|
Endlich mußte er
aufgeben. Ohne fremde Hilfe bestand keine Aussicht auf Rettung
|
|
aus seiner mißlichen Lage.
Drum dachte er lieber über den Unbekannten nach, der |
|
ihm eins übergezogen, ihn
überwältigt und hier festgesetzt hatte. Wer war's? |
|
Es kann nur der alte
Graf von Schwanewalde gewesen sein, kam ihm zuerst in den |
|
Sinn,
sicher hat er durch die vollends gewissenlosen Massenmedien heutzutage von
meiner |
Flucht aus der Klapse
erfahren, daraufhin vermutet, daß sein erster Weg hierhin nach
|
|
Schloß Schwanewalde führen
würde und einen seiner sklavischen Domestiken beauf- |
|
tragt, mir aufzulauern und
durch Gefangennahme unschädlich zu machen, damit ich |
|
nicht die Hochzeit seiner
Tochter vereiteln oder zumindest stören kann. Er selbst wird
|
|
schwerlich den Niederschlag
durchgeführt haben, schwächlich und debil wie er ist. |
|
Allerdings, woher wußte der
alte Krauter von seiner Affäre mit Sophie? Sie hat doch |
|
immer versucht es vor ihm
geheim zu halten. Nein, es war eigentlich nicht möglich. |
|
Der Graf war doch nicht mehr
ganz von dieser Welt. Der glaubte doch noch, daß |
|
der Kanzler, der das Land
knechtete, Helmut Kohl heißt! 2oo8!! |
|
Der heimtückische
Doktor!! Dr. Lohner hat ihm alles erzählt. So muß es gewesen sein. |
|
Oder der durchtriebene
Quachsalber hat es selbst erledigt, in berechtigter Furcht die |
|
begangenen Mißetaten würden
aufgedeckt. |
|
Als der junge Mann an
diesen gemeinen Charakter dachte, flammte der alte ohn- |
|
Zorn wieder auf. Dieser
schändliche Eisenbart!, dachte er hasserfüllt, nein, das ist |
|
mir vielleicht einer! |
|
Dabei schüttelte er
mißmutig den Kopf, so gut es mit den dicken Backen eben ging. |
|
|
|
6 |
|
"Guten Morgen,
lieber Vater! Guten Morgen, Max und Gundolf, Brüder, die ihr |
|
seid, meine aber auch!",
kregel war Sophie, als sie das Frühstückszimmer betrat, |
|
und einen Teil der Sippschaft
dort vorfand. Sie schaute sich um und war verwundert. |
|
"Na, wo ist denn mein
Manfred? Doch nicht davon?" |
|
"Guten Morgen,
liebes Kind", erwiderte der Graf und schaute von seiner Morgenlektüre |
|
auf . "Dr. Lohner wurde
soeben wieder mal am - was? - Telefon verlangt. Ein gefragter |
|
Mann scheint's. Aber schau
doch nur, wieviel Post der Briefbursche heute für dich |
|
hatte. Was?" Graf
Schwanewalde deutete auf eine Bratpfanne, in der ein Stapel |
|
Briefe lag. "Was?",
stieß er aus und widmete sich wieder dem Artikel "Imkerei und |
|
blaues Blut" in der
KAUFEN UND SPAREN, einem Gratis-Werbeblättchen, das |
|
als einziges Druckerzeugnis im
Hause gehalten wurde, da gratis ja immer noch |
|
umsonst bedeutet. |
|
"Ooooh,
aaaall-lleee für moi, äh mich?", Sophie war vor Freude halbwegs aus dem |
|
Häuschen und kratzte sich am
Schambein. |
|
"Ja, liebe Sophie,
alles - was? - für dich!" Der Graf ließ sein Blättchen sinken.
"Aber |
|
auch, so sage ich, ein
neuerlicher imposanter Beweis für - was? - das Ansehen, das |
|
unsere Familie von
Schwanewalde zurecht in allen Teilen der Bevölkerung genießt. |
|
Nur Bundeskanzler Kohl hat
nicht geschrieben, sicher meldet er sich - was? - später |
|
noch fernmündlich. Was? Der
Briefmann brachte mindestens noch das doppelte an |
|
Karten, die Annahme - was? -
mußte ich aber verweigern, da sie gar nicht oder nur |
|
unzureichend frankiert war. Am
Porto wurde - was? - hier an falscher Stelle gespart, |
|
und ich bin nicht bereit,
immense Mengen Geldes - was? - für Strafporto wegzu- |
|
werfen! Empörend, was?" |
|
"Oh, wie
ensetzlich! Wie schade aber auch!". Bedauerte Sophie frohgemut.
"Ich hoffe |
|
aber doch sehr, daß die
Gratulanten mir ein zweites Mal schreiben werden, diesmal |
|
mit korrekt entrichtetem
Obolus für das Postgeschmeiss. Doch jetzt will ich lesen, |
|
wer durchgedrungen ist, und
mir zum heutigen Tag Glück und Gutes wünscht." |
|
Sophie nahm den Stapel mit der
fettigen Post und setzte sich an den Tisch. "Ah, der |
|
junge Graf Horst sendet mir
seine tiefempfundenen Glückwünsche zur anstehenden |
|
Vermählung. Wie überaus
aufmerksam von ihm! Und hier: Der alte Erbprinz Paulchen |
|
hat noch selbst zum Griffel
gegriffen und entbietet mir allerlei.! Bezaubernd wie |
|
meistens. Wenn auch seine
Handschrift unerfreulich ist. Das muß doch nicht sein, |
|
oder bin ich zu streng? Und
da! Der gute Herzog von vom Stuhl sendet mit schöne |
|
Urlaubsgrüße. Von den
kanarischen Inseln! Prima!" |
|
"Wo die Vögel
herkommen?" fragte der Graf. |
|
"Keine
Ahnung", sagte Sophie. "Und hie wiederum: Emma Juskowiak sendet
einen |
|
bescheidenen Gruß! Wie überaus
liebnenswürdig von ihr!" |
|
"Wer ist denn Emma
Jussalmiak überhaupt?", fragte die Gräfin erstaunt. |
|
"Juskowiak, Mutter,
Emma Juskowiak", korrigierte Sophie", aus Köln-Deutz! Aber |
|
wer das ist, kann ich auch
nicht sagen." |
|
Der Graf lachte bitter
auf. "Nicht von Adel, was? Naja, was?" |
|
Sophie ignorierte die
Sozialkritik, die in dieser Äußerung mitschwang, und las mit |
|
bebenden Busen und plappernden
Mundwerk munter weiter. Plötzlich hielt sie inne, |
|
und graunzte indigniert.
"Nanu? Wer hat denn auf diesem Brief seine bösen Flecken |
|
hinterlassen?". Sie war
ganz schön aufgebracht . |
|
"Max? Was? Gundolf?
Was?", der Graf hatte sogleich die üblichen Verdächtigen im |
|
Visier. "Wer war's?
Stante pede raus mit der Wahrheit!" |
|
"Ich", meldete
sich Max schnell und kleinlaut, Schlimmes ahnend. |
|
Doch heute war der Graf
großmütig gestimmt. "Deine Ehrlichkeit ist brav, mein Sohn, |
|
und schützt dich - was? -
dieses Mal vor der an sich verdienten Verfolgung. Denn |
|
was? - so gehört es
sich. Man steht zu seinen Fehlern. Aber merke dir dies: Ein |
|
echter Schwanewalde öffnet und
liest keine Briefe, die für andere bestimmt sind, |
|
vor allem nicht mit vollem
Mund, denn der Speichelflug ist oft beträchtlich." |
|
"Entschuldige,
Sophie, verzeih mir!", bat Max. |
|
"Schon gut, mein
lieber Bruder!". Sophie war viel zu aufgeregt, um lange böse |
|
mit ihm zu sein. |
|
"Von wem ist denn
der befleckte Brief?" fragte die Gräfin neugierig, während sie |
|
ein Brötchen mit
Vierfruchtmarmelade verzehrte. |
|
"Einen Moment
bitte, ich schau gleich mal nach. Einen Absender trägt der Umschlag |
|
nicht." Sie riß gespannt
den neutralen weißen Umschlag auf und zog das Begleit- |
|
schreiben heraus, das sie
umgehend studierte. "Offenbar ist die Absenderin eine |
|
gewisse Beate Uhse." |
|
"Nicht von Geblüt,
was?" fauchte der Graf angewidert. |
|
"Wie
passend!", rief Sophie freudig aus, "sie betreibt einen Handel und
macht mich |
|
in diesem Schreiben in
wohlgesetzten Worten auf die Nützlichkeit bestimmter |
|
ehehygienischer Artikel
aufmerksam. Ein Katalog mit ihrem äußerst umfangreichen |
|
Sortiment hat sie ebenfalls
beigelegt.!" |
|
"Wie aufmerksam
aber auch", lobte die Gräfin und nahm einen kräftigen Schluck |
|
Kaffee", ja, man kann gar
nicht oft genug hören, daß die Sauberkeit vielleicht das |
|
wichtigste Fundament einer
glücklichen Ehe ist!" |
|
"So ist es,
Sophie", bestätigte der Graf und nahm wieder die KAUFEN UND
SPAREN |
|
zur Hand. "Immer schön -
was?- die Hände waschen! Vor - aber auch, wenn nicht |
|
gar - was?- besonders nach den
täglichen Mahlzeiten." |
|
"Pfui!
Igitt!", rief Sophie erschrocken aus, als sie die Broschüre aus dem
Umschlag |
|
nahm. "Das Heft ist ja
voller Flecken und klebrig verschmiert obendrein!" |
|
"Um Himmelswillen -
was? - nein!" Der Graf schielte über seinem Blatt und
bebte |
|
augenblicklich im Sitzen.
"Auf dem Titelbild ist ja ein unbekleidetes
Frauenzimmer |
|
in lüsterner Pose - was? -
abgebildet! Oh Schamlosigkeit! Die darf ich keineswegs
20.4. |
|
dulden an meinem Tisch.
Sophie, vernichte augenblicklich - was? - diesen Schmutz, |
|
eh sich mir noch der Magen
umdreht." |
|
"Ja, Vater, du hast
doch so recht. Es handelt sich um eine Geschmacklosigkeit |
|
ohnegleichen. In den Müll mit
dem Schund!" Sophie nahm die Glocke vom Tisch |
|
und klingelte nach Albrecht.
Wenige Sekunden stand er schon neben ihr. |
|
"Bitte, Albrecht,
nehmen sie sogleich dies abstoßende Druckwerk an sich und
ver- |
|
graben sie es im Garten",
befahl Sophie. "Tief! Und unverzüglich." |
|
"Nein, was für
Zeiten, was für Sitten, wie schon der alte Grieche so richtig
sagte." |
|
Angeekelt von der Welt und
ihren Verderbnissen schüttelte der Graf seinen Kopf. |
|
"Aber richtig
bleibt doch, daß die Sauberkeit auch in einer guten Ehe ihren festen |
|
Platz haben muß"
insistierte die Gräfin trotzig. |
|
"Ja, darüber kann
es in meinem Hause ja gar keinen zweideutigen Disput geben", |
|
sprang der Graf ihr bei.
"Was?" |
|
"Wann wird denn die
Schneiderin mit meinem Hochzeitskleid kommen?", fragte |
|
Sophie, auch um das Gespräch
auf Erfreulicheres, ergo sich, zu bringen. |
|
"Für 13 Uhr 20 hat
sie sich angesagt", antwortete die Gräfin und stocherte mit dem |
|
Eierlöffelgriff im Mund herum,
wohl um auf die Weise ihre Zahnlücken von Früh- |
|
stücksresten der sperrigeren
Art zu befreien. |
|
"Und meine
AVON-Beraterin?" |
|
"Gegen 14 Uhr hat
sie ihr Erscheinen anberaumt!" |
|
"Gewiß mag sie mir
noch letzte wertvolle Anregungen und Hinweise hinsichtlich |
|
meines Make Ups geben.",
sagte Sophie leise zur Mutter. |
|
Doch der Vater hörte
alles. "Make Up", spuckte er verächtlich aus, "Was? Dieser |
|
modische Firlefanz widerstrebt
ja nun meinem ästhetischen Empfinden unsagbar!" |
|
"Lieber Harro,
bewahre doch bitte Contenance", sprang auch als Akt weiblicher
21.4. |
|
Solidarität gegen sture
Männerbarbarei die Mutter der Tochter bei. "Die Zeiten |
|
ändern sich nun einmal.
Tempora mutantur. Und auch du solltest ein wenig Ver- |
|
ständnis dafür aufbringen, daß
sich die jungen Dinger heutigentags nicht mehr auf |
|
die Art schmücken, wie's bei
unseren seligen Altvorderen noch Usus war." |
|
Der Graf brummelte etwas
in den falschen Bart, was nach "Suffragettentand"
klang, |
|
gab aber doch schnell klein
bei und entgegnete: "Gewiß - was? Was? Liebe Emilie! |
|
Wenn nur nicht Natürlichkeit
des Teints und Reinheit des Wesens dabei Schaden |
|
nehmen!" |
|
Da mußte Sophie
natürlich lachen. "Aber dafür sorgt doch gerade die
AVON-Beraterin! |
|
Zu welchem anderen Behufe ist
sie denn sonst an den Schminktöpfen und Schmelz- |
|
tiegeln ausgebildet
worden?" |
|
Diese durchaus
interessante Frage blieb leider unbeantwortet im Raum stehen,
denn |
|
Dr. Lohner trat an ihr vorbei
ins Zimmer. Sein Gesicht war noch finsterer denn |
|
gewöhnlich. "Er hat
wieder angerufen", meldete er knapp. |
|
"Doch nicht
er?" fragte Sophie. |
|
"Ja, Sophie,
er!" |
|
"Wer?", fragte
die Gräfin. |
|
"Er", sagte
der Graf., |
|
"Ja, er! Der
geheimnisvolle Unbekannte, der mich um Glück und Geld zu bringen |
|
trachtet." Der Doktor
greinte und biß sich in die Faust. |
|
"Was? Davon weiß
ich ja gar nichts", sagte die Gräfin. "Aber von euren Männerange- |
|
legenheiten will ich auch gar
nichts wissen. Das höre ich mir nicht länger an." Trotz- |
|
dem blieb sie sitzen und
lauschte aufmerksam. |
|
"Max, Gundolf, geht
bitte hinaus. Wir Erwachsenen haben derart Ernsthaftes mit- |
|
einander zu bereden, daß
-was?- es euch um den jungen Verstand bringen könnte, |
|
würdet ihr davon Kenntnis -
was? - haben. Deshalb interessiert es euch ja auch |
|
gar nicht." Der Graf
klatschte in die Hände. "Nehmt euer Butterbrot mit, und hopphopp |
|
hinaus nun." |
|
Die Jungen standen
murrend auf, griffen noch schnell ein Stück Speck vom Tisch |
|
und liefen hinaus. Wie
gewöhnlich schnurstracks in die Speisekammer, um dort das |
|
Frühstück in Ruhe zu
vollenden. |
|
"Nun erklären sie
sich doch, Doktor. Was - was? - hat der Unmensch von ihnen |
|
verlangt? Was will er?" |
|
Dr. Lohner setzte sich
an den Tisch. "Noch heute, so droht er mir, will er die Welt- |
|
öffentlichkeit über den
tragischen Unfall, der mir widerfuhr, aufklären, wenn ich |
|
nicht bis 14 Uhr das
gewünschte Geld übergeben habe." |
|
"Der Hund, der
arglistige!" schimpfte der Graf. "Und? Was?" |
|
"Was und?" |
|
"Wie soll sich die
Übergabe des Feldes gestalten? Er will es doch sicher nicht - was?- |
|
persönlich hier abholen." |
|
"Ich soll die
Million in eine Aktentasche packen, und die dem Priester aushändigen, |
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der uns heute trauen wird. Der
soll dann mit dem Geld in den Forst bei Altenbach |
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fahren, und die Tasche an
einer bezeichneten Stelle unter einem hohlen Baum tief |
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vergraben." |
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"Ein Priester,
was?" Verwundert schlug sich der Graf vor den Kopf und taumelte |
|
zur Seite. "Warum hat er
- was? - sich denn ausgerechnet einen Priester als Boten |
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ausbedungen?" |
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"Er sagte, mir
könne er nicht trauen. Ein Priester hingegen sei aus anderem ehr- |
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licheren Holze, denn als
Knecht Gottes dürfe der kein falsches Spiel treiben und |
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sich einem Verbrecher
widersetzen. So habe er es im Katchechismus gelesen, |
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beziehungsweise ließen
bestimmte Stellen diese persönliche Interpretation ganz |
|
entschieden zu." |
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"Ein Erpresser mit
Gottvertrauen. Was? Was für ein seltenes Phänomen das doch |
|
ist in diesen gottfernen
Zeiten", bemerkte Sophie süffisant. |
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"Ja, und dennoch
wird seine dreckige schwarze Seele dereinst ob ihrer abscheuer- |
|
regenden Sünden im ewigen
Höllenfeuer - was? - braten!", glaubte der Graf unbedingt |
|
anmerken zu müssen. |
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"Ob sich aber wohl
Pastor Hausmann dazu bereit finden wird? Schließlich ist die |
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Übergabe des armen Geldes ein
riskantes Unternehmen, das mit Gefahren für Leib |
|
und Gesundheit verbunden sein
kann", gab Sophie zu bedenken. |
|
"Er muss! Er muss
es einfach tun, sonst ist unsere Zukunft perdu!" brauste Dr. |
|
Lohner auf. |
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"Zweifellos - was?
- wird er es tun, auch eingedenk der Tatsache, daß ich letzte |
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Weihnacht erst - was? - wohl
1000 Taler - ja, was? - gut mehr als 1000 Taler für den |
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neuen Glockenturm gespendet
habe. Er beabsichtigt ja - was? - den maroden |
|
maladen Teil seiner Kirche
aufzupeppen.", behauptete der Graf . |
|
"Sollten wir nicht
besser die Mordkommission einschalten?" schlug Sophie vor |
|
und Begeisterung über diese
Idee schwang in der Stimme mit. |
|
"Ach was!" Dr.
Lohner stöhnte gequät auf. "Nur das nicht, keine Polizei! Die trampelt |
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doch nur in den Blumenbeeten
herum und raucht. Außerdem würde bald alles aufge- |
|
deckt und unsere feine Zukunft
wäre dahin. Sophie, dahin!" |
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Wieder mal ertappte sich
Sophie bei dem Gedanken, daß das auch nicht weiter schlimm |
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wäre und erschrak über
ihre Herzlosigkeit. Gekonnt verbarg sie jedoch den inneren |
|
Widerstreit der Gefühle und
rief herzzerreißend: "Nein, Manfred, nur das nicht! |
|
Das dürfen wir niemals
zulassen!" |
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"Wir sollten besser
gleich den Priester informieren und anfragen, ob er bereit und |
|
fähig ist, das Geld zu
übergeben." schlug Dr. Lohner vor. |
|
"Mich interessieren
eure Männerangelegenheiten ja eigentlich nicht, aber vielleicht |
|
ist der Herr Pastor ja gar
nicht zuhause?" mischte sich die Gräfin ein. |
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"Eben",
entgegnete Dr. Lohner. "Deshalb müssen wir ihn jetzt gleich
anrufen." |
|
"Sie sollten den
Einwand meiner Frau nicht so - was? - leichthin abtun." sagte der |
|
Graf, in den Klauen des Geizes
gefangen die Telefonrechnung fürchtend. "Vielleicht |
|
ist Hausmann ja tatsächlich
nicht daheim und sie müssten - was? - umständlich mit |
|
dem Antwortbeantworter oder
der Haushälterin gar, parlieren. Eine kostenträchtige |
|
Zeitvergeudung. Deshalb wäre
es doch - was? - gewitzter, ja pfiffiger erst später |
|
anzurufen." |
|
"Und wenn er später
auch nicht da ist?" argumentierte Dr. Lohner noch unverdrossen. |
|
"Dann wäre
natürlich jedes Anrufen sinnlos, dann würden wir ihn später auch nicht |
|
telefonisch erreichen." |
|
"Aus ganz genau
diesem Grund müssen wir doch versuchen, ihn jetzt zu sprechen. |
|
Es ist doch möglich, daß er
jetzt noch zuhause ist, später aber schon gegangen!" |
|
Nun zeigte der Doktor einen
gewißen Unmut darüber, daß die Gesetze der Logik im |
|
Hause von Schwanewalde nicht
so mächtig waren, wie sie sein sollten. |
|
"Es - was? - könnte
zwar eventuell so sein, wie sie uns hier einreden wollen, lieber |
|
Doktor, muss aber nicht.
"Der Graf kannte kein Erbarmen nicht. "Und wenn ich |
|
was?- bedenke wie durchaus mit
Kosten verbunden heutzutage ein Telefongespräch |
|
heutzutage ist, so schein mir
Gewißheit vonnöten, ehe unnütz - was?- mein gutes |
|
Geld verplempert wird, nur um
sinnlose Gespräche mit Haushälterinnen zu führen, |
|
die besser ihre Hausarbeit
erledigen sollten." |
|
"Der Pastor kommt
doch sowieso vor der Hochzeit noch hierher", munter versalzte |
|
die Gräfin weiter die Suppe
des klaren Gedankens "und wenn er hier ist, können wir |
|
ja ganz sicher sein, daß er
nicht zuhause ist und müssen ihn dann auch nicht mehr |
|
dort anrufen und uns das
Gerede seiner, wie ich finde, überaus unsympathischen |
|
Haushälterin anhören." |
|
"Richtig - was? -
nur kein überflüßiges teures Telefonat!" |
|
"Trotzdem werde ich
jetzt sofort bei ihm anrufen!" Dr. Lohner schien äußerst unzu- |
|
frieden über den Disput und
hielt sich beide Ohren zu. "Die Kosten des Ortsgesprächs |
|
erstatte ich ihnen
selbstverständlich. Dafür komme ich auf!" |
|
"Aber ich bitte
sie, Doktor. Der Anruf geht selbstverständlich auf meine Kappe. |
|
Ein Ortsgespräch, was? Wenn
sie also partout glauben, es sei nötig, und jeder noch |
|
so vernünftige Einwand sie
nicht - was? - davon abbringen kann, will ich sie nicht |
|
hindern. Das liegt mir fern.
Wiewohl sie sich vielleicht doch noch einmal die -was?- |
|
Bedenken, die ich und Emilie
haben, eindringlich vor Augen halten sollten und erst |
|
dann entscheiden....was? Aber
wo laufen sie denn hin?" |
|
Dr. Lohner hatte eiligst
das Weite gesucht. |
|
"Ein starrköpfiger
Geselle", mokierte sich die Gräfin, als der Arzt geflohen war. |
|
"Und seltsamer denn
je!" |
|
"Mit seinen
fünfundvierzig Jahren erweist er sich - was? - offenbar noch immer |
|
vielen vernünftigen
Überlegungen unzugänglich!" |
|
Sophie sah sich
veranlaßt, ihren zukünftigen Ehemann in Schutz zu nehmen und |
|
sprang tapfer in die Bresche,
die ihre Eltern so vehement geschlagen hatten. Der |
|
eigentliche Grund für dies
Verhalten war aber eher in ihrem schlechten Gewissen |
|
zu suchen, als das es einem
ehrlichen Empfinden entkroch. "Bitte versetzt euch doch |
|
einmal in seine verzwickte
Lage: Er wird erpreßt, noch dazu von einem gemeinen |
|
Erpresser, das zehrt natürlich
an seinen Nerven. Das zehrt, sage ich euch!" |
|
"Was? Was? Gerade
das bemängel ich doch!" rief der Graf und der falsche Bart |
|
staubte unheilvoll, "Er
wird erpreßt und muß viel viel Geld zahlen, ergo ist doch |
|
gerade dann so wichtig, den
Pfennig zu hüten und jedes überflüßige Telefonge- |
|
spräch zu vermeiden." |
|
"Vater, du hast
recht", besänftigte ihn Sophie wieder einmal "aber seine nervliche |
|
Anspannung mag so manches
entschuldigen." |
|
"In schwierigen
Lebenslagen ist es - was? - doch die besondere Pflicht des guten |
|
Mannes einen kühlen, klaren
Kopf zu bewahren." |
|
"Kind, Kind, ich
fürchte um dein Glück mit diesem Mann." Die Gräfin nahm Sophies |
|
Hand in beide Hände. "So
ein Starrkopf!" |
|
"Du weißt noch
nicht, daß er sich Geld von mir leihen will, Sophie." Unvermittelt |
|
rückte der Graf damit heraus.
"So ist es aber, Sophie." |
|
Die Tochter nickte.
"Doch, Vater, ich weiß davon." |
|
Verwundert schnackerte
der Graf mit beiden Backen. "Was? Was? So hat er sogar |
|
dir davon erzählt? Ja, weiß
denn der Mann nicht, welche Geheimnisse er vor den |
|
Weibern für sich behalten
muß?" |
|
"Er will
zweieinhalb Prozent Zinsen zahlen,Vater. So sagte er mir gestern
jedenfalls." |
|
Die Miene des Grafen
erhellte sich augenblicklich, als sei am Morgen schon die |
|
Mittagssonne am Himmel.
"Was? Zweieinhalb Prozent, sagst du, will er? Hohoho! |
|
Das ist natürlich wenig, aber
durchaus allerhand. Was? Das ist diskussionswürdig! |
|
Wenn auch längst noch nicht
angemessen. Was? Das ist ja klar." |
|
Der Graf lachte ekelhaft
in sich hinein, bis Dr. Lohner zurückkehrte. Er setzte sich |
|
schweigend an den Tisch. Die
drei Adeligen beobachteten schweigend, wie er ein |
|
Brötchen aus der Schatulle
nahm und dick mit Margarine beschmierte. |
|
"Nun?", fragte
der Graf nach einer Weile spitz. |
|
"Er ist nicht
zuhause." Dr. Lohner stand vor Waterloo. Er griff geschlagen zur |
|
Ketchupflasche und schüttete
den zähen Tomatensud fingerdick aufs wehrlose |
|
Brötchen. "Ich werde
später nochmal versuchen, ihn zu erreichen." Schließlich |
|
hatte Napoleon es ja auch noch
mal versucht! Ja hatte er nicht nach Waterloo |
|
sein mentales Dünkirchen fast
als imaginäres Tannenberg bewältigt? Trotzdem |
|
ist er schon lange tot. Und
mit ihm manche alte Gewißheit. |
|
Triumphierend schaute
der Graf in die Runde und trat den am Boden liegenden |
|
in die Weichteile.
"Wußtest du es nicht schon vorher, Emilie? Was? Sagtest du es |
|
nicht gleich, Sophie? Was? Und
waren meine Einwände so unbegründet?" |
|
Dr. Lohner blieb nur,
diesen Hohn zu ignorieren. Wie geistesabwesend starrte er |
|
auf das gottverlassene
Brötchen in seiner Hand und biß dann schnell und kräftig |
|
hinein. Der Ketchup quoll aus
allen Seiten und tropfte in seinen Vollbart. |
|
Sophie schaute ihm dabei
zu, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Der berühmte Hirn- |
|
chirurg, gierig und
unhygienisch ein Brot reißen, dieser Anblick rührte sie schon |
|
unangenehm. |
|
Daher also die Röte
seines Bartes, wurde ihr auf einmal bewußt, es war nicht eine |
|
natürliche, es war nicht
genetisch bedingt, was ja so manches verzeihen läßt, nein, |
|
es war die Nachgeburt von
zigtausend sabbernd verzehrten Broten mit Ketchupmatsche |
|
beschmiert. Sophie würgte es
bei dieser plötzlichen Erkenntnis. |
|
Und wie aus dem nichts
erschien die blonde, lockige Pracht von Achims Bart vor |
|
ihrem geistigen Auge, und sie
lächelte wehmütig. |
|
|
|
Schweren Herzens hatte sich
der junge Mann damit abgefunden, daß er sich ohne |
|
fremde Hilfe nicht von seinen
Fesseln würde befreien können. Wieder überkam ihn |
|
ein Gefühl der Ohnmacht, ja
Hoffnungslosigkeit. Es war alles dahin, nichts konnte |
|
er tun, außer hier zu liegen
und der sicher unguten Dinge zu harren, die auf ihn |
|
zukommen
würden. |
|
Auf einmal war hm, als
ob ein Schatten am Fenster vorbeigehuscht wäre. Der erste
25.4. |
|
Gedanke war natürlich, durch
laute Geräusche auf sich aufmerksam zu machen. |
|
Vielleicht nahte Hilfe. Ein
Instinkt gemahnte ihn indes, besser Vorsicht walten zu
lassen |
|
und still liegen zu bleiben.
Besser ist immer der Teufel, den man kennt. |
|
Knarrend öffnete sich
die klapprige Tür des Gartenhäuschens. Der junge Mann
schloß |
|
geistesgegenwärtig beide
Augen. Ich stell mich bewußtlos, ich stell mich schlafend, |
|
dachte er, vielleicht ergibt
sich dann später eine Gelegenheit, um die Augen zu öffnen |
|
und die Identität des
Mysteriösen zu erkennen, ohne das derjenige es bemerkte. Es |
|
gehörte eine große Portion
Überwindung dazu, nicht der Neugier nachzugeben, denn |
|
die war sehr groß.
|
|
"Gut, er liegt da
noch", brummelte der Unbekannte vor sich hin. Offenbar war er
ein |
|
Mann der gerne mit sich selbst
sprach. Dem Geschepper und Geklapper nach machte |
|
er sich in der Ecke des
Gartenhäuschens zu schaffen. Was trieb er dort bloß? Noch |
|
wagte der junge Mann nicht ein
Lid zu heben. |
|
Endlich siegte dann doch
die unbezähmbare Neugierde. Er nahm allen Mut zusammen. |
|
Langsam öffnete er sein
rechtes Auge. |
|
Verschwommen sah er noch
einen Prügel auf sich niedersausen, spürte einen kurzen, |
|
heftigen Schmerz und verlor
wieder sein Bewußtsein. |
|
"Sicher ist
sicher", brummte der Fremde zufrieden und legte den dicken Holzhammer |
|
beiseite. |
|
|
|
"Was? Wie bitte,
waswas?" Graf Harro von Schwanewalde schien entsetzt. "Doktor, |
|
ich bitte sie! Nur ein
Prozent? Sie wollen nur ein Prozent Zinsen zahlen für eine |
|
so - was?- überaus bedeutende
Summe wie 500,000 sind? Incroyable!" |
|
"Ja, ein Protent,
ich finde diesen Zinssatz schon enorm genug", entgegnete der |
|
Hirnchirurg kühl. |
|
"Aber guter Mann,
sie trachten mich zu - was? - ruinieren, was? Dennoch werde ich |
|
ihnen ein wenig
entgegenkommen: Nun gut, 15 Prozent!" |
|
"Gute Güte,
Graf!". Dr. Lohner wurde ernsthaft böse. "Bitte seien sie doch
etwas realis- |
|
tisch: 15 Prozent für einen
Kredit mit einer Laufzeit von maximal drei Tagen! Das |
|
ist doch blanker Wucher,
nichts weiter! Keine Babk der Welt hätte die Stirn, soviel |
|
zu verlangen!" |
|
"Nehmen sie bitte -
was? - zur Kenntnis, daß ich kein Kreditinstitut betreibe. Im |
|
Interesse meiner guten Tochter
- was? - indes will ich ihnen wohl den großen |
|
Gefallen tun und ihnen mit
dieser immensen Summe aushelfen. Allein - was? - |
|
die Bedingungen sollten schon
fair sein." |
|
"Herr Graf,
ihrer Kulanz bin ich mir durchaus bewußt, nur schein mir ihre Forderung |
|
maßlos bei dem doch recht
geringen Risiko. Aber, nun gut: Zwei Prozent! Mein letztes |
|
Wort!" |
|
"Auch ich werde
ihnen selbstverständlich - was? - entgegenkommen, ein letztes Mal |
|
allerdings, nota bene!"
Provozierend als ob gelangweilt lehnte sich der Graf zurück. |
|
" Ich sage: 14
Prozent!" |
|
Dr. Lohner raufte sich
den Backenbart. "Vierzehn Prozent!!! Graf! Sie meinen das |
|
doch nicht ernst? " Ein
Blick auf den bräsigen Graf brachte ihn allerdings wieder in |
|
die Realität zurück. Er war
geschlagen, besiegt, ein Verlierer! "Welch ein Zinssatz! |
|
Kriminell, bösartig,
aberwitzig, unanständig! Aber gut, die Zeit läuft mir davon, |
|
deshalb nun mein
allerletztesWort: drei Prozent!" |
|
Der letzte Buchstabe war
noch nicht verklungen, da sprang der alte Graf auch schon |
|
auf. "Abgemacht!
Abgemacht! Drei Prozent sind abgemacht!" Wie Rumpelstilzchen |
|
ums Feuer sprang er im Zimmer
herum. "Mit drei Prozent bin ich einverstanden!" |
|
Er triumphierte wie Italien
nach einer unverdienten Weltmeisterschaft. "Ha,ha, drei |
|
Prozent! Ein vorzügliches
Geschäft!" |
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Dr. Lohner merkte
natürlich sofort, daß er zu weit gegangen war, die dreiste Freude |
|
seines Konkurrenten ärgerte
ihn maßlos, und er versuchte, seinen Fehler kleiner zu |
|
machen. "Pardon, lieber
Graf, ich habe mich versprochen, ich meinte selbstverständ- |
|
lich 2,3 %, nicht etwa 3! 2,3
nicht 3!!" |
|
|
|